Leicht wirken die Schwarzaquarelle, die in einem Licht- und Schattenspiel die Räume von Pauls Klees Wohnung in der Ainmillerstraße rekonstruieren. 

(Foto:Catherina Hess)

Süddeutsche Zeitung, 19. Februar 2016

Der Maler Joachim Jung beschäftigt sich in seinem Werk akribisch und phantasievoll mit dem Leben und Schaffen von Künstlern. Dabei ist ihm keine Mühe zu groß und kein Umweg zu weit. Das Münchner Künstlerhaus vermittelt nun einen Eindruck davon

Von Sabine Reithmaier

Joachim Jung schätzt Abschweifungen. Erzählt von seinen Wanderungen und Ortserkundungen, oft auf verwinkelten Pfaden, schwärmt von Rhythmus, Leitmotiven, Wiederholungen in Landschaften und Literatur. Logisch, dass es ihm leichtfällt, Jean Pauls Romane zu lesen. Aber das Fragmentarische, das wie zufällig, fast improvisiert wirkende Beschreiben von Assoziationen ist künstlerisches Konzept: Alles, was Jung zeichnet, aquarelliert, malt oder sonst wie bearbeitet, ist quasi zwangsläufig miteinander verbunden, ist perfekt ausbalanciert: das 360 Grad-Panoramabild des Arbeitszimmers von Hermann Lenz und die "Landschaft mit Wanderer", in der ein einzelner Caspar-David-Friedrich-Mensch unter einem großen Himmel auf den Horizont starrt. Die Walden-Hütte des Philosophen Henry David Thoreau und Jean Pauls Pfarrhaus in Joditz. Oder leere Zimmerfluchten und Paul Klees Küche.

Die anmutig poetischen Schwarzaquarelle mit den leeren Räumen sind die jüngsten Arbeiten Joachim Jungs, die in einer Ausstellung im Künstlerhaus zu sehen sind. Sie stellen das vorläufige Endergebnis einer mehr als 30-jährigen Auseinandersetzung mit Paul Klee dar. Ihm hat der 1951 geborene Jung besonders akribisch nachgespürt, Erinnerungsfetzen zusammengetragen, sie phantasievoll mit eigenen Ideen verknüpft. Nie geht es um Illustration, sondern um Annäherung, Einverleibung, Umwandlung, eine hintergründige, geistreiche Mischung aus Dokumentarischem und selbst Erdachtem. Auf diese Weise ist ein vielschichtiges Werk entstanden, von dem im Kabinett des Künstlerhauses aus Platzgründen nur ein kleiner Ausschnitt zu sehen ist.

Ausgelöst wurde das Klee-Projekt durch Gisela Macke, die eines Tages ihren Speicher in Bonn aufräumte und das Fotoalbum der legendären Tunis-Reise ihres Schwiegervaters mit Paul Klee und Louis Moilliet im April 1914 fand. Die historischen Fotos, 1984 im Westfälischen Landesmuseum ausgestellt, faszinierten Jung. Eine Sternstunde der Kunst, abgebildet auf touristischen Schnappschüssen: August Macke auf einem Esel oder mit den anderen unter einer Steineiche sitzend. Der erste Zyklus, den Jung schuf, konzentrierte sich auf den Kontrast zwischen der heiteren Künstlerreise und dem sinnlosen Tod Mackes kurz nach der Rückkehr.

Auf der Suche nach einem Projekt für ein Graduiertenstipendium an der Kunstakademie München schlug ihm Wieland Schmidt 1986 vor, darzustellen, wie Klee eigentlich von München nach Kairouan gelangt sei. Die drei Reisen, die Jung daraufhin unternahm, verarbeitete er in mehreren Bildfolgen. Nur eines, das großformatige "München - Kairouan" (1989) ist in der Ausstellung vertreten. Allein durch seine seltsame Form verweist das "Zettelbild" (Jung), ein farbintensives, aus Einzelbildern komponiertes Tableau bereits auf seine nächste Fährte: Es bildet die Brandmauer nach, die Jung vorfand, als er Paul Klees Leben in München nachspürte. Im zweiten Stock des Hauses in der Ainmillerstraße 32 wohnte der Maler mit seiner Familie von 1906 bis 1921. Inzwischen ist dieses letzte Überbleibsel des kriegszerstörten Gebäudes auch wieder hinter einem Neubau verschwunden.

Jung erforschte nicht nur im Stadtarchiv die Baupläne, er traf sich auch mit Sohn Felix Klee, erfuhr vieles über die Wohnverhältnisse. Mutter Lily, die Familienernährerin, gab im Klavierzimmer Musikunterricht, Vater Paul kochte und malte in der Küche mit Blick auf ein rotbraunes Haus im Hinterhof. Wenn Felix sein Kasperltheater aufbauen wollte, hängte der Vater die Tür zwischen Wohn- und Schlafzimmer aus. All das hat Jung in mehreren Zyklen eingefangen, die nicht nur durch ihre farbigen Klänge bezaubern, sondern auch durch die Genauigkeit des Erforschten.

Vor drei Jahren, als er wegen eines Vortrags die Gespräche mit Felix Klee wieder abhörte, fiel ihm auf, dass dieser die Wohnung immer als "unsere dunkle Mietskaserne" bezeichnet hatte. Jung begann, Modelle von der Wohnung zu bauen, erst eins aus Pappe, das zweite aus Japanpapier - "etwas, was man wegblasen kann, passt besser zu Klee". Maßstabsgetreu rekonstruierte er die Zimmer, den dunklen Gang, den Blick ins Treppenhaus, die Küche mit dem klaren Nordlicht und dem Balkon, auf dem Gabriele Münter 1911 erst Franz Marc und Wassily Kandinsky und dann die ganze Blaue Reiter-Mannschaft fotografierte.

Oder das düstere, schlauchförmige Musikzimmer. Nur mit Wasser, Papier, Elfenbeinschwarz und etwas Blau hat er die Räume festgehalten, anfangs eher noch dokumentarisch, dann immer freier. Inzwischen hat er 45Schwarzaquarelle gemalt, 24 hängen in der Ausstellung, bezaubern durch ihr Licht- und Schattenspiel. Und sie greifen natürlich auch ein Thema und eine Technik Klees auf, der 1908 mit Hilfe von Schwarzaquarellen begann, ganz methodisch Lichtwirkungen zu untersuchen. Nicht anzunehmen, dass Jung nach diesen Bildern das Klee-Projekt abschließt, auch wenn er noch ein wenig unschlüssig wirkt. Aber er spürt bereits den Nachmietern der Wohnung nach, hat bereits ein Foto erhalten, auf dem eine unbekannte Frau aus Lily Klees Musikzimmer blickt.

Vielleicht ist noch eine Unterscheidung wichtig: Die zwischen Projekten, mit denen er sich selbst beauftragt - Klee, Jean Paul, Lenz, Thoreau - und jenen, mit denen er beauftragt wird, den Gedenktafeln für die Familie Thomas Manns zum Beispiel. Die er dann natürlich genauso akribisch, aber vielleicht mit etwas weniger Umwegen erforscht. Oder die acht Präsidenten des Künstlerhauses, die er in einer Farbskala von Rotorange über Grün bis zu einem bläulichen Violett erstrahlen lässt. Die Farbauswahl hängt mit der Fraunhofertreppe zusammen, die Joachim Jung 1998 für die Stadthalle Straubing gestaltete. Damals setzte er sich mit Joseph von Fraunhofers optischen Forschungen auseinander, analysierte die Lichtbrechung und die damit einhergehende Veränderung der Farben und entwickelte so eine für ihn bis heute gültige Skala. Alles hängt eben mit allem zusammen.

Der Vortrag über seine Münchner Projekte, den er am Montag hält, dauert übrigens 50 Minuten. Sagt Jung. Jedenfalls wenn er geradeaus geht. Keine Ahnung, ob er die Abschweifungen mitgerechnet hat.

Joachim Jung: Aquarelle, Gemälde, ZeichnungenMünchner Künstlerhaus, Kunstkabinett, Lenbachplatz 8, bis 26. Februar Vortrag, Montag, 22.Februar, 19Uhr, Eintritt frei, Anmeldung erforderlich, ☎ 089/89 99 93 20

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