Online zwitschern über den Künstler
Kürzlich wurde die erste Nummer der Internet-Zeitschrift für Klee-Studien aufgeschaltet. Klees aktualisierter Werkkatalog soll bis 2020 im Netz zugänglich sein.
Alexander Sury (Der Bund, 13.01.2016)
Er war einst der grösste Steinbruch des Landes, wo sich die Menschen seit dem Mittelalter bedienten. Der Sandstein wurde unter anderem zum Bau des Münsters, des Rathauses und der Heiliggeistkirche in der Stadt Bern verwendet. «Ich selbst habe bedauerlicherweise nie eines der Gebäude, die unleugbar aus meinem Körper geschlagen wurden, zu Gesicht bekommen.»
Wer spricht denn da? Es ist der Steinbruch in Ostermundigen selbst, den der Berner Autor Jürg Halter in der «Zwitscher-Maschine» in munterem Parlando erzählen lässt.
In der ersten, Mitte Dezember aufgeschalteten Nummer der Online-Zeitschrift für internationale Paul-Klee-Studien sinniert der Steinbruch leicht wehmütig zu filigranen Federzeichnungen Klees aus den Jahren 1909/10 über sein Schicksal.
Klee hielt sich oft im «schönen Ostermundiger Steinbruch» auf, der seine «Abbauhochzeit» lange hinter sich hat und heute im Sommer vorab von Theaterinteressierten und Tagesausflüglern besucht wird. Gut so, sagt der Steinbruch, denn sonst «würde heute vielleicht nichts mehr von mir übrig geblieben sein als ein Sandsteinkörnchen».
Was da alles rauscht und pfeift
Die vom Zentrum Paul Klee in Zusammenarbeit mit den Kunsthistorikern Walther Fuchs und Osamu Okuda herausgegebene Online-Zeitschrift entlehnt den Titel einem Bild Klees aus dem Jahr 1922, das heute im Museum of Modern Art in New York hängt.
Die Publikation erscheint halbjährlich und umfasst neben literarischen und philosophischen Annäherungen zu Leben und Werk Klees vorab kunsthistorische und -technologische Studien.
«Was alles da raschelt, rauscht, pfeift und zwitschert, sei es im Garten oder im tiefen Wald der Klee-Forschung», schreibt ZPK-Direktor Peter Fischer im Vorwort, «soll mit der ‹Zwitscher-Maschine› ein Gefäss zur Verbreitung finden.»
Ermöglicht wird die neue Online-Publikation, die als Plattform für Kurzbeiträge traditionelle Formate wie Schriftenreihen oder Jahrbücher ersetzt, durch die finanzielle Unterstützung der Paul-Klee-Stiftung der Burgergemeinde.
In der ersten Nummer ragt ein Forschungsbeitrag von Walther Fuchs und Osamu Okuda heraus, der die Hintergründe des bisher unbekannten Klee-Werks «Vater und Sohn» aus dem Jahr 1902 ausleuchtet.
Auf einer neu entdeckten Fotografie aus dem Nachlass der Künstlerin Sasha Morgenthaler sieht man Klee in seinem Berner Atelier sitzen. Der Künstler ist darauf wirkungsvoll im Profil wiedergegeben, den Blick in eine imaginäre Ferne gerichtet, rechts im Hintergrund steht ein gerahmtes Bild auf der Staffelei.
Darauf abgebildet sind zwei Männer in Rückenansicht, in antike Gewänder gehüllt. Das Werk stehe im Zusammenhang mit einer kurz vorher absolvierten Italienreise Klees, stellen die beiden Klee-Forscher fest.
Der junge Künstler habe nach ausgiebigen Studien im Anatomiesaal der Universität Bern darin auch seine vertieften Kenntnisse in Akt und Anatomie einfliessen lassen. Das Werk wurde von Klee offenbar später vernichtet, da er es als gescheiterten Versuch einer neuen bildnerischen Ausdrucksweise betrachtete.
Schub für Gurlitt-Forschung?
Ein zweites digitales Projekt rund um Paul Klee betrifft den «Catalogue raisonné». Das zwischen 1998 und 2004 in neun Bänden publizierte Werksverzeichnis Klees stellt bis heute für Wissenschaftler, Galeristen, Kuratoren und Auktionshäuser die unverzichtbare Grundlage für die Arbeit mit dem Werk des Künstlers dar.
Seit dem Abschluss des neunten Bandes wurden indes von den wissenschaftlichen Mitarbeitern des Zentrums Paul Klee kontinuierlich neue Informationen verarbeitet und die Einträge aktualisiert – vorab zu Änderungen der Standort- und Provenienzangaben. Elf Jahre nach Erscheinen des letzten Bandes ist es laut Peter Fischer «an der Zeit, diesen in überarbeiteter, aktualisierter und erweiterter Form neu zu publizieren».
In Anbetracht des rasanten technischen Wandels ist eine solche Publikation allerdings nur noch in digitaler Form sinnvoll. Das Projekt soll «so bald wie möglich» mit dem Ziel starten, den überarbeiteten «Cataloque raisonné» bis spätestens 2020 im Internet frei zugänglich zu machen. Die Museumsstiftung für Kunst der Burgergemeinde Bern wird das Projekt voraussichtlich finanziell unterstützen.
Insbesondere im heute überaus sensiblen Bereich der Provenienzforschung genügt der «Catalogue raisonné» den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr. Durch die zusätzliche Auswertung von Unterlagen in Archiven sollen diese Lücken geschlossen werden; besonders reichhaltige Erkenntnisse erhofft man sich von den im Zuge der Schenkung der Familie Klee ins ZPK gelangten Verkaufslisten und Geschäftskorrespondenzen der 1920er- bis 1940er-Jahre.
Die Konzeption und Erarbeitung des digitalen Cataloque raisonné wird im Rahmen des gemeinsamen Sammlungspools in enger Kooperation mit dem Kunstmuseum Bern erfolgen. Das Kunstmuseum Bern werde damit in die Lage versetzt, so Peter Fischer, mit dem Instrument «Cataloque raisonné» seine eigenen Sammlungsbestände sowie die durch das – derzeit juristisch noch blockierte – Gurlitt-Erbe neu ins Haus kommenden Konvolute nach «State-of-the-art-Richtlinien» zu erfassen.
Synergien mit der Provenienzforschung im Bereich der Sammlung Gurlitt sind dabei ausdrücklich beabsichtigt. Ermöglicht werden soll dies durch den Austausch der Resultate sowie der Auswertung umfangreicher Geschäftskorrespondenzen Klees mit Galerien wie denjenigen der Kunsthändler Alfred Flechtheim, Curt Valentin, Karl Buchholz oder Daniel-Henry Kahnweiler in der Zwischenkriegszeit und in der Epoche des Nationalsozialismus.