UNFALL (1939, 1178) – WARUM EIN MÄDCHEN AUF DEM KOPF geht

Bernhard Marx


Zusammenfassung

Das Bild Unfall (1939, 1178) von Paul Klee gibt Anlaß zu der Frage, ob es allein seine schmerzvollen existentiellen Erfahrungen gewesen sind, die maßgeblich die bildnerische Komposition des auf dem Kopf stehenden Mädchens bestimmt haben oder ob auch literarische Spuren aufgezeigt werden können, denen er selbst gefolgt sein dürfte. Die Spurensuche läßt erkennen, daß es sehr wohl Anhaltspunkte dafür gibt. Seine schon in den Tagebüchern bezeugte Belesenheit läßt den Umfang seines Bibliotheksbestandes erahnen. Nachweislich hat er nicht nur Aristophanes und Shakespeare, sondern auch Voltaire, Büchner und Heine rezipiert – Autoren, die den Topos der ›verkehrten Welt‹ in ihren Werken aufgegriffen haben. Ausgehend von der dort offen als auch mit Ironie zur Sprache gebrachten Gesellschaftskritik läßt sich der ins Bild gesetzte ›Unfall‹ eher als ein ›Vorfall‹, ein Fall in eine absurde Welt deuten, die sprichwörtlich auf dem Kopf steht. Wer aber – wie die mädchenhafte Figur auf dem Bild – zudem auf dem Kopf geht, der ist nicht ›umgefallen‹, sondern ist sich seiner Verkehrung bewußt und weiß von der Möglichkeit ihrer Umkehrung.