Stefan Wolpe und das Weimarer Bauhaus: Ein Gästebucheintrag als Dokument der Wendezeit

THOMAS GARTMANN


Zusammenfassung
Der Komponist Stefan Wolpe, der sowohl zur revolutionären Novembergruppe wie auch zum Weimarer Bauhaus-Kreis gehörte, hat 1924 für Lily Klees Gästebuch ein zweiseitiges Albumblatt geschaffen, das hier erstmals ganz veröffentlicht wird. Dieses »Praeludium« und »Fughette« ist in mehrfacher Hinsicht ein bedeutsamer Fund, auch wenn es sich nur um ein kleines Gelegenheitswerk handelt: Wolpes Frühwerk ist nur sehr lückenhaft überliefert. Dieses Albumblatt ist deshalb ein wichtiges Dokument an der Wendezeit eines Komponisten, der seinen Weg zwischen einem übersteigerten Expressionismus und einer Busoni verpflichteten Neuen Sachlichkeit, zwischen einem Bach’schem Neoklassizismus und einem Aufbruch zu einem repetitiven mechanistischen Stil beleuchtet; sichtbar werden aber auch bereits Spuren seiner späteren Entwicklung, zu einem Webernschen Serialismus wie auch zu einer frühen Postmoderne. Zugleich reflektiert es auch die vielfältigen Anregungen, die Wolpe in Weimar von Johannes Itten und Paul Klee empfangen hat: ein Gestaltungswille, der auf konstruktivistische Vereinheitlichung und Abstraktion zielt. In einem Close Reading wird unter Beizug verschiedenster Zeugnisse von Zeitgenossen und ihm selbst versucht, die vielfältigen Beziehungen und Einflüsse aufzuspüren und in Wolpes Frühwerk einzuordnen. Nicht zuletzt wird das Albumblatt auch gelesen als ein ironisch zwinkernder Gruss an Klees Konzert-Karikaturen.