PAUL KLEE UND OSTASIEN – KRITISCHE ANALYSE DER ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DER »SCHRIFTBILDER« VON 1916
Yubii Noda
Zusammenfassung
Paul Klee schuf 1916 einen Zyklus von Schriftbildern, bestehend aus sechs Aquarellen nach Gedichten aus dem Band Chinesische Lyrik vom 12. Jahrhundert v. Chr. Bis zur Gegenwart (übersetzt von Hans Heilmann, München/Leipzig 1905). Laut der bisherigen Forschung kam Klee im Jahr 1916 in den Besitz dieses Buches. Eine genaue Untersuchung der Bücher aus Klees Nachlass im Zentrum Paul Klee ergab jedoch, dass der Band ein Geschenk des Ehepaars Alexander und Zina Eliasberg an Paul und Lily Klee zu Weihnachten 1909 war. Die Eliasbergs gehörten in jener Zeit zu den wenigen, die Klees Kunst verstanden. Vor diesem Hintergrund erscheinen Klees Literaturstudium und seine Freundschaften in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg bis zur Erschaffung der Schriftbilder im Jahr 1916 und deren Einfluss auf seine Reflexionen zu Ostasien in einem neuen Licht.
Zwei Schriftbilder Klees geben Passagen aus Wang Zeng Rus Gedicht Die einsame Gattin wieder, das zur poetischen Gattung »gui yuan shi« gehört, die durch das Motiv der Traurigkeit und Einsamkeit der Frau gekennzeichnet ist. Für diese Gattung prägend ist das Bild der Ehefrau, die sich im einsamen Schlafzimmer in der Heimat nach ihrem ins Feld gezogenen Gatten sehnt und die Trennung von ihm beklagt. Klees Wahl des Gedichts Die einsame Gattin hatte vor dem Hintergrund des 1. Weltkriegs eine pazifistische Note, die mit seinem Hinterglasbild aus dem Jahr 1916 Weihnachtsarbeiten für die Feldgrauen in Zusammenhang steht. Klees Schriftbilder wurden 1917 in der Galerie von Herwarth Walden ausgestellt und trugen zum Erfolg des Künstlers auf dem Kunstmarkt bei. Ostasien wurde für ihn nicht nur zu einem Vorbild des Pazifismus und einem fernen utopischen Ort, dem er sich in seiner Kunst anzunähern versuchte und von dem aus er die europäische Gesellschaft kritisieren konnte, sondern auch zu einem Wegweiser des Erfolgs.