CHRISTINE HOPFENGART

SUMMARY

Paul Klee and Wassily Kandinsky are considered one of the most important pairs of friends of the classical modern period. For three decades the two artists were linked by ties of friendship although they always kept an inner distance. Last year their relationship was first investigated in a comprehensive exhibition.  This project is being continued in a publication of the correspondence between the two artists.

The exchangebetween Klee and Kandinsky concerned mainly organizational questions of their artistic lives: introductions to acquaintances, and relations with the publishing world and the art trade. Their wives and partners – Lily Klee, Gabriele Münter and Nina Kandinsky – as well as Klee’s son Felix also took part in their dialogue. The correspondents showed very differing profiles as letter writers. Klee’s brief statements contrast with Kandinsky’s rhetoric and particularly his wife’s exuberant communicativeness. 

Substantial portions of the correspondence date back to the beginning of the First World War and to the 1930s, when Klee and Kandinsky were in the process of emigration and depended on the exchange of letters between Berne and Paris. During the Bauhaus period, on the other hand, when they both met regularly, written communication inevitably became less important. Other means of expression throw more light on this period: photographs showing the befriended artists and gifts of art with which they engaged in a subtle dialogue about their artistic convictions.

The publication of the correspondence (expected in autumn 2017) will include Klee’s and Kandinsky’s complete correspondence as well as a representative selection from their wives’ and from Felix Klee’s letters. The correspondence will be supplemented by a commented documentation of all photographs and gifts of art.


Von Juni 2015 bis Februar 2016 zeigten das Zentrum Paul Klee, Bern, und die Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, die Ausstellung Klee & Kandinsky. Nachbarn, Freunde, Konkurrenten. Zum ersten Mal wurde hier in grossem Umfang die Beziehung der beiden Künstler und damit eine der wichtigsten Künstlerfreundschaften des 20. Jahrhunderts untersucht. Es wurde herausgearbeitet, wie Klee und Kandinsky menschlich und kollegial zueinander standen, wie sie künstlerisch aufeinander reagierten, sich beeinflussten oder voneinander abgrenzten. Neben Bildern gaben auch biografische Dokumente Aufschluss über die Geschichte einer Beziehung zwischen Übereinstimmung und Abgrenzung, zwischen freundschaftlicher Sympathie und marktbewusstem Wettbewerb.1

Nun soll in einem zweiten Band der Briefwechsel der beiden Künstler veröffentlicht werden. Diese Publikation wird die bisher realisierten Ausgaben von Briefwechseln der beiden Künstler ergänzen und Einblick in ihre Lebensumstände und ihren Gedankenaustausch geben. Im Falle Kandinskys sind bereits zahlreiche Korrespondenzen mit Künstlerkollegen wie beispielsweise mit Franz Marc, Arnold Schönberg oder Josef Albers, sowie der Briefwechsel mit dem Kunstkritiker Will Grohmann erschienen.2 Im Falle Klees liegt der Schriftverkehr mit Alfred Kubin sowie mit Alexej Jawlensky und Marianne von Werefkin vor.3 Die Korrespondenz zwischen Klee und Kandinsky wurde dagegen bisher nur in kleinen Teilen in den Berner Kunstmitteilungen von 1984 - 1985 zugänglich gemacht.4 Es ist deshalb ein dringendes Desiderat, den Briefwechsel dieser beiden Künstler zu erschliessen.5

Freundschaftlich distanziert

Klee und Kandinsky waren über beinahe drei Jahrzehnte freundschaftlich, wenngleich nie distanzlos, miteinander verbunden (Abb. 1, 2). Ihr Verhältnis war kein menschliches Drama, wie etwa bei van Gogh und Gauguin, und auch keine konkurrenzbewusste Rivalität, wie bei Matisse und Picasso, sondern ein konzentrierter Dialog, der zahlreiche grundsätzliche Gemeinsamkeiten, aber auch viele menschliche und künstlerische Unterschiede offenbarte. 

Beide Künstler stimmten in der Notwendigkeit einer Erneuerung und Spiritualisierung der Kunst und der Betonung der Eigengesetzlichkeit der bildnerischen Mittel überein. Zugleich aber waren sie sich aufgrund von Klees ironischem Realitätsbezug und Kandinskys hoch gespanntem Idealismus ebenso fremd wie durch Klees individualistischer Wandelbarkeit und Kandinskys Anspruch auf die Gesetzlichkeit der abstrakten Kunst. 

Die erste persönliche Begegnung erfolgte 1911 im Zusammenhang der Aktivitäten des Blauen Reiters. Kandinsky war auf dem ersten Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn, Klee hingegen befand sich noch auf der Suche nach seiner persönlichen Ausdrucksform. Bewundernd, aber auch mit kritischem Abstand bezog Klee von Kandinsky wesentliche Impulse für sein weiteres Schaffen und fand Mut zur eigenen Courage. 

Die wichtigste Etappe ihrer gemeinsamen Biografie waren jedoch die Jahre am Bauhaus zwischen 1922 und 1931/1932. Beide waren nun ebenbürtige Lehrkräfte und Künstler mit zunehmend internationaler Reputation. Besondere Intensität erreichte ihre Beziehung in den Dessauer Jahren, als sie seit 1926 gemeinsam eines der von Walter Gropius errichteten »Meisterhäuser« bewohnten. 

 
 

Am Dialog der beiden Künstler beteiligten sich auch ihre Frauen und Partnerinnen: Lily Klee, Gabriele Münter und Nina Kandinsky. In ihrer Rolle als selbständige Künstlerin wie Gabriele Münter, als liebevolle Begleiterin ihres Mannes wie Nina Kandinsky oder als selbstbewusste Lebensgefährtin wie Lily Klee partizipierten sie nicht nur am Künstlerleben ihrer Männer, sondern übernahmen teilweise auch selbständig den Informationsaustausch. 

Eine Sonderrolle spielte ausserdem Felix Klee (1907 - 1990), der Sohn von Paul und Lily Klee, der Kandinsky seit seiner frühen Jugend besonders zugetan war und ihn neben seinem Vater als menschliches und künstlerisches Vorbild empfand. 

Es fällt nicht leicht, für die Beziehung von Klee und Kandinsky den Begriff der Freundschaft in all seiner Idealität und ohne Einschränkungen zu verwenden. Zwar widmeten sich die beiden Künstler von Anfang an ihre gegenseitigen Geschenke mit der Formel »meinem lieben Freund«, zugleich aber hielten sie – intellektuell und emotional – immer einen gewissen Abstand ein. Bei Klee lässt sich diese Reserve nicht zuletzt in zahlreichen ironischen Bemerkungen über »Herrn Nachber und Frau Nachberin«, den »Wachtmeister« oder die »Wackers« nachlesen.6 Bei Kandinsky wird sie in seinem Abschiedstext zu Klees Weggang vom Bauhaus manifest. Denn obwohl er dort erinnerungsvoll ihren gemeinsamen Weg Revue passieren lässt, fällt das Wort »Freundschaft« nur in einer Nebenbemerkung. Stattdessen wählte Kandinsky den, auch von Klee gern benutzten Begriff der »Nachbarschaft«, um ihre Beziehung zu charakterisieren.7

Die Korrespondenz

Die Korrespondenz zwischen Klee und Kandinsky umfasste – wenn man die Briefe ihrer Frauen und diejenigen Felix Klees hinzurechnet – im Zeitraum von 1912 bis 1946 (Tod von Lily Klee) knapp 300 Briefe, Postkarten und andere schriftliche Mitteilungen. 223 Schriftstücke haben sich nach derzeitigem Wissen erhalten, der Rest ist nicht mehr auffindbar. Auf Paul Klee und Wassily Kandinsky entfallen dabei 75 Schriftstücke, von denen 63 erhalten und 12 verschollen sind. Manche der fehlenden Schriftstücke sind durch Antwortschreiben zumindest datierbar. Ein zweites Konvolut stellt die Korrespondenz zwischen Felix Klee und Nina Kandinsky aus den Jahren 1946 - 1979 dar. Es umfasst gesamthaft 178 Briefe und Kartengrüsse, wobei auch hier 12 von ihnen verloren sind.
Eigentümer der Briefe sind das Zentrum Paul Klee in Bern, der Fonds Kandinsky im Centre Pompidou, Paris, die Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung in München sowie in Privatbesitz, Bern. 

Der Briefwechsel zwischen Paul Klee und Wassily Kandinsky betraf vor allem organisatorische Fragen ihres Künstlerlebens: Die Vermittlung von Bekanntschaften mit Künstlerkollegen, Publikations- oder Kunsthandelsfragen. Der Austausch über künstlerische Fragen trat dahinter zurück.
Einen ersten Höhepunkt stellt der Schriftwechsel zu Beginn des Ersten Weltkrieges dar, der angesichts der politischen Bedrohung zu grundsätzlichen Überlegungen über ihre Künstlerrolle führte. Während Kandinsky auf die Zukunft einer »verbrüderten Menschheit« hoffte, erwartete Klee eine Verbesserung seiner Chancen auf dem Kunstmarkt.
Nachdem Kandinsky im November 1914 nach Russland zurückgekehrt war, brach die Verbindung für sieben Jahre ab. Nur mit Kandinskys Partnerin Gabriele Münter (Abb. 3) blieb ein sporadischer Kontakt bestehen, der sich jedoch durch die Trennung von Kandinsky und Münter verkomplizierte. Ein Dissens über die Besitzverhältnisse zweier Bilder Kandinskys führte schliesslich zum Ende der Verbindung. 

 
 

Der zweite Abschnitt der Korrespondenz zwischen Klee und Kandinsky begann im Dezember 1921, als Kandinsky mit seiner Frau Nina nach schwierigen Jahren in Russland wieder in Deutschland eintraf und mit Klee Kontakt aufnahm. Dieser war mittlerweile zu einem führenden Vertreter der Gegenwartskunst und zum Bauhausmeister aufgestiegen und trat Kandinsky mit Selbstbewusstsein gegenüber. Nachdem auch Kandinsky eine Berufung ans Bauhaus erhalten hatte, lebten sie als Kollegen in Weimar und übernahmen ähnliche Aufgaben im Unterrichtsprogramm der Schule. 

In den folgenden zehn Jahren am Bauhaus trat die schriftliche Mitteilung auf Grund der räumlichen Nähe zwangsläufig hinter das persönliche Gespräch zurück. Vor allem in Dessau, wo Klee und Kandinsky sich ein Doppelhaus – das sog. Meisterhaus Klee-Kandinsky – teilten, muss ein kontinuierlicher Austausch geherrscht haben. Für diese Zeit sind andere Kommunikationsmittel aussagekräftiger als die Korrespondenz: Fotografien, mit denen die beiden Künstlerpaare ihre Gemeinsamkeit dokumentierten (Abb. 4), und Kunstgeschenke, mit denen Klee und Kandinsky sich gegenseitig Freude machten, zugleich aber auch einen Dialog über ihre künstlerischen Überzeugungen führten. 

Zu Beginn der 1930er Jahre setzte mit einer erneuten Trennung eine Wiederbelebung des Briefwechsels ein. Sie vollzog sich schrittweise, begann mit Klees Wechsel an die Düsseldorfer Kunstakademie im Oktober 1931, setzte sich mit dem Umzug des Bauhauses nach Berlin im Dezember 1932 fort und fand Ende 1933 mit der Emigration der beiden Künstler nach Bern, beziehungsweise nach Paris ihren Abschluss. Für Jahre waren sie nun endgültig auf den Schriftverkehr angewiesen. Zwar führten in der Hauptsache die beiden Frauen die Korrespondenz, aber insbesondere durch die Mitteilungsfreude von Lily Klee wurden zahlreiche Details über die Situation im Exil überliefert, die sonst verloren gegangen wären. Man erfährt Einzelheiten über Wohnungen und Lebensumstände sowie über den Verbleib gemeinsamer Bekannter.

Zu einem Leitmotiv ihrer Korrespondenz wurde nun die sehnsüchtige Erinnerung an Weimar und Dessau. Ab 1935 beherrschte ausserdem Klees Krankheit den Briefwechsel und 1937 die Freude über das Wiedersehen in Bern, das sich im Nachhinein als das letzte Treffen der beiden Künstler erweisen sollte. 

Nach Klees Tod 1940 und Kandinskys im Jahr 1944 hielten Lily Klee und Nina Kandinsky die Verbindung aufrecht und tauschten sich über den Verlust ihrer Ehemänner und die Phasen von Schmerz und Trauer aus. Zu beobachten ist hier, wie aus der Erinnerung Idealbilder geboren wurden und Künstlerlegenden ihren Anfang nahmen. 

Nachdem im September 1946 auch Lily Klee verstorben war, blieb aus der ursprünglichen Konstellation nur noch Nina Kandinsky übrig. An sie wandte sich Felix Klee im Dezember 1946, um nach dem Ende von Krieg und Kriegsgefangenschaft den Faden wieder aufzunehmen (Abb. 5).

 
 

Bis zu Ninas Tod im Jahr 1980 entwickelte sich eine Korrespondenz, die sich neben Rückblenden in die Bauhausjahre und Lilys letzte Lebenszeit vor allem mit Fragen der einsetzenden Rezeptionsgeschichte der beiden Künstler befasste. Nachlassprobleme, Vermarktungsfragen und die beginnende Kunstgeschichtsschreibung waren dauerhafte Themen. Im Rahmen ihrer Korrespondenz wurden nun auch erstmals Dokumente der gemeinsamen Vergangenheit gesichtet und ausgetauscht. Nina Kandinsky erhielt am 13. März 1959 

Kopien von 34 Postsachen Kandinskys an Paul und Lily Klee (Abb. 6), umgekehrt bekam Felix Klee Briefe seines Vaters und eine Reihe von Fotografien aus dem Nachlass Kandinskys in Kopien ausgehändigt.

Die Korrespondenten

Paul und Lily Klee, Wassily Kandinsky, Gabriele Münter und Nina Kandinsky sowie Felix Klee waren höchst unterschiedliche Persönlichkeiten und ebenso unterschiedliche Briefeschreiber. Sparsamen Mitteilungen von Seiten Klees steht die selbstbewusste Rhetorik Kandinskys gegenüber, aber auch die ausufernde Mitteilsamkeit von Lily Klee. Jeder und jede der insgesamt sechs am Briefwechsel beteiligten Personen hat als Korrespondenzpartner ein eigenes Profil. Am wenigsten greifbar sind Gabriele Münter, von der nur drei Schreiben überliefert sind, und Nina Kandinsky. Von letzterer hat sich nach bisherigen Nachforschungen nur ein Bruchteil der tatsächlich geschriebenen Briefe erhalten.
Der zweifellos komplexeste Fall ist Paul Klee, denn sein Verhältnis zu schriftlichen Äusserungen unterlag im Laufe seines Lebens nicht nur starken Schwankungen, sondern war über lange Jahre von Abwehr bestimmt. 

Paul Klee als eigenwilliger und widerwilliger Briefschreiber

Als Felix Klee im Jahr 1979 zu Klees 100. Geburtstag die Briefe an die Familie herausgab, setzte er sich im Vorwort mit der verbreiteten Meinung auseinander, »Klee habe nur wenig und ungern geschrieben« und meinte, diese Einschätzung mit der puren Menge an schriftlichen Formulierungen widerlegen zu können.8
Tatsächlich hat Klee zweifellos viele und vielfach auch lange Briefe geschrieben. Aber nur in seiner Jugend, während der langen Verlobungszeit mit seiner späteren Frau Lily Stumpf von 1902 - 1906, gab er mit den Briefen Einblick in seine Gedanken und Gefühle. Später beschränkte er sich auf die Reportage von Alltäglichkeiten oder zog sich hinter Wort- und Gedankenspiele zurück. Die Briefe entstanden nun weniger aus innerem Mitteilungsbedürfnis, als aus dem Wunsch Lilys nach regelmässiger Berichterstattung (Abb. 7, 8).

 
 

Insbesondere während der Bauhausjahre, das muss man dazu wissen, lebten Paul und Lily Klee nicht immer zusammen. Lily Klee war wiederholt auf Kur oder sie besuchte Freunde und Verwandte. In diesen Situationen »getrennter Haushaltsführung« lag es nahe, auf schriftlichem Weg die Verbindung zu halten. Lily Klee scheint daraus das Bedürfnis nach einer nahezu ununterbrochenen Korrespondenz entwic­kelt zu haben, bei der sie spätestens jeden zweiten Tag detaillierte Auskünfte erwartete. Klee sträubte sich auf verschiedenste Weise gegen diesen Zwang und aus seinen Ausflüchten liesse sich ein Kammerspiel zusammenstellen. Mal machte er die ausufernde Bauhausarbeit geltend, mal brachte er seine Linkshändigkeit ins Spiel. Vor allem aber argumentierte er mit der Ereignislosigkeit seines täglichen Lebens, die eine Berichterstattung überflüssig machen würde.9 Auch den geschäftlichen Schriftverkehr erledigte Klee nur ungern. In einer Mischung aus Widerwillen und skrupulöser Genauigkeit schob er die Beantwortung von Anfragen oft lange vor sich her. Dann allerdings machte er sich das Schreiben nicht leicht. Erhaltene Entwürfe dokumentieren eine regelrechte Textarbeit, bei der er sorgfältig die Sätze baute und die Worte mit wiederholten Korrekturen auf ihren Gehalt hin abwägte.
Letztendlich aber fühlte sich Klee durch Korrespondenz und jede Art schriftlicher Äusserung von seiner eigentlichen Arbeit abgehalten. Und dies nicht nur im Sinn von Zeitverschwendung. Denn Klee verstand sich als Künstler, der sich im Medium des Bildes weit besser ausdrücken konnte als mit Worten. Gegenüber Will Grohmann äus­serte er einmal: »Sie errieten schon, dass ich nicht gerne [...] Aufsätze schreibe. [...] ich stelle zu hohe Anforderungen; deshalb müsste ich wochenlang dran arbeitenund das zu Sagende schliesslich auf 20 Sätze koncentrieren, was wieder eine schöne Arbeit für sich ist. Inzwischen male ich lieber [...]«.10 

Auch gegenüber Kollegen und Freunden blieb Klee wortkarg und liess sich nur ungern auf einen Briefwechsel ein. Kandinsky stellte diese Eigenschaft bereits frühzeitig fest, als er im Sommer 1912 an Klee schrieb: »Lieber Herr Klee, vielen Dank für Ihre Karte. Münter bedankt sich bestens bei Ihrer Frau. Vielleicht entschlies­sen Sie sich auch zu einem Brief [...]«11
Neben der, mit fordernder Höflichkeit vorgetragenen Ermahnung zu umfangreicherer Mitteilung enthält Kandinskys Bemerkung zugleich einen impliziten Vergleich mit der Schreibfreudigkeit Lilys. Man könnte auch sagen, er spielte die beiden gegeneinander aus. Denn der Dank von Gabriele Münter bezog sich mit grosser Wahrscheinlichkeit auf einen Brief Lilys, der – nach allem, was wir von ihr kennen –ein lebhafter Wortfluss gewesen sein wird. 

Lily Klee als wortreiche Berichterstatterin

Lily Klee war im Hinblick auf Kommunikation und Briefverkehr das genaue Gegenteil ihres Mannes. Wortreich und ausführlich berichtete sie von ihren täglichen Verrichtungen, konnte aber auch lebhaft über politische und gesellschaftliche Fragen räsonieren. Ihre eigenen gesundheitlichen Probleme – und später die ihres Mannes –, die Entwicklung des Sohnes Felix und musikalische Erlebnisse waren beherrschende Themen. Sie las viel und korrespondierte leidenschaftlich gern. Neben Mann, Sohn Felix und dem gemeinsamen Bekanntenkreis stand sie noch mit einer Reihe von Freundinnen, wie beispielsweise Gertrud Grohmann und Gertrud Maud Grote, im schriftlichen Austausch (Abb. 9).
In ihrer Mitteilsamkeit tendierte sie zur Wiederholung. Dies umso mehr, als sie das Schreiben ihrer langen Briefe oft mehrfach unterbrach und bei der Wiederaufnahme vieles rekapitulierte, was sie zuvor bereits geschrieben hatte. Im Unterschied zu Klee und dessen genereller Scheu vor Selbsterklärung neigte Lily dazu, Meinungen kraftvoll zu vertreten. Und während Klee sich gerne von Redensarten und Denkmustern ironisch distanzierte, bediente Lily sich unbefangen  zahlreicher emotionaler und sprachlicher Konventionen. 

 
 

In der Konstellation mit Kandinsky und seinen Partnerinnen nahm Lily Klee eine selbstbewusste Rolle ein. Sie korrespondierte keineswegs nur »von Frau zu Frau«, sondern übernahm ebenso den Meinungsaustausch mit Kandinsky selbst. Zu Geburtstagen, zu Weihnachten und dem für Kandinsky bedeutsamen Russischen Osterfest war es üblich, die Glückwünsche nicht paarweise, sondern einzeln zu übermitteln. So haben sich zu diesen Anlässen jeweils zwei Briefe, einer von Paul und einer von Lily Klee, erhalten. 

So gegensätzlich Paul und Lily Klee in ihren Ansichten über das Briefeschreiben und in ihrer ehelichen Korrespondenz-Praxis waren, so sehr ergänzten sie sich im schriftlichen Auftreten nach aussen. Fast symbiotisch bedienten sie die Ansprüche, die aus einer freundschaftlichen Beziehung, wie der zu Kandinsky, entstanden. Lily Klee übernahm die Rolle der zugewandten und mitteilsamen Berichterstatterin, Paul dagegen hielt sich im Hintergrund und trat nur zu besonderen Anlässen und auch dann zumeist nur mit wenigen Zeilen hervor. 

Wassily Kandinsky als gewandter Wortführer

Auch Kandinsky war als Korrespondent ganz anders geartet als Klee (Abb. 10). Während dieser den Briefwechsel oft als lästiges Übel behandelte, konnte sich Kandinsky noch nach einem anstrengenden Arbeitstag an den Schreibtisch setzen.12 Und anders als für Klee, der sich durch Briefe von seiner eigentlichen, künstlerischen Arbeit abgehalten fühlte, waren sie für Kandinsky ein wichtiger Teil davon. Zur technischen Erleichterung benutzte er seit Mitte der 1920er Jahre eine Schreibmaschine13 – eine Modernisierung, der Klee sich lebenslang verweigerte.

Nicht nur in der Zeit des Blauen Reiter, als Kandinsky Franz Marc gegenüber einmal seufzte »Briefe regnen auf mich immer weiter und ich schreibe und schreibe [...]«,14 war er ein unablässiger Korrespondent, auch während der Bauhaus-Jahre befand er sich fortwährend im schriftlichen Austausch. Neben klassischen Briefen scheint er auch die Umfragen von Presseorganen genutzt zu haben, um anderen seine Überzeugungen mitzuteilen. 

 
 

So bediente er in Deutschland beispielsweise das Kunstblatt bei deren grosser Umfrage »Ein neuer Naturalismus??« zu den realistischen Tendenzen in der Gegenwartskunst15 und in Frankreich gab er dem Herausgeber der Cahiers d‘art, Christian Zervos, auf Anfrage seine Meinung zu Protokoll.16 Klee dagegen stellte sich mit einer einzigen Ausnahme nie für derartige Meinungsforschungen zur Verfügung.17
Kandinsky verfügte über eine ausgeprägte Rhetorik zur Überzeugung seiner Briefpartner. Er bediente sich einer Sprache, die ebenso herzlich und persönlich, wie professionell und interessensgeleitet war. Vielfach verband er seine Briefe mit persönlichen Anliegen, die er den Adressaten zwar mit allen Formeln der Höflichkeit und Verständnisbereitschaft, aber auch mit Nachdruck vermittelte. Dabei neigte er gelegentlich zu fordernden Formulierungen. »Liebe Freunde, was soll Ihr Schweigen bedeuten?« und »Wo sind Sie? Herr Klee?«, schrieb er beispielsweise am 10. September 1914, um diesen wieder einmal zu einer Nachricht zu veranlassen.18 Lief nicht alles, wie er es sich wünschte, konnte sich in seine Freundlichkeit eine Ironie mischen, die den Unwillen nur schlecht verbarg. Eine von ihm gerne angewandte Strategie war es darüber hinaus, seine Frau Nina als Stichwortgeberin einzuführen, um von der eigenen Person abzulenken und seine Forderungen und Fragen mit einem weiblichen Sympathiebonus abzupuffern. 

Verglichen mit Klee war Kandinsky ein brillanter Kommunikator. Er betrieb Netzwerkpflege und vermittelte Bekanntschaften. Bei Klee stiess er mit seiner Art offensiver Kommunikation auf inneren Widerstand. Nicht dass dieser ihm widersprochen hätte, vielmehr scheint er sich dem rhetorischen Zugriff Kandinskys entzogen zu haben. 

Gabriele Münter als temporäre Partnerin

Gabriele Münter war in die Korrespondenz nur von 1912 bis 1921 eingeschlossen und spielte nur eine untergeordnete Rolle. Sie wurde von Paul und Lily Klee angeschrieben, wenn es um Termine und Adressen ging, als ob sich die beiden Klees wegen solcher organisatorischer Fragen nicht an Kandinsky selbst gewagt hätten (Abb. 11).

 
 

Im August 1914, als Kandinsky Deutschland als »feindlicher Ausländer« verlassen musste, und Münter und Kandinsky in einer leer stehenden Villa in Goldach im Kanton St. Gallen vorübergehend Unterkunft fanden, bahnte sich eine eigenständige Korrespondenz mit Lily Klee an, von der sich mit Ausnahme eines kurzen Grusses allerdings nur Lilys Briefe erhalten haben. Zu einem brisanten Schriftwechsel kam es allerdings 1921 mit Paul Klee um zwei Bilder Kandinskys, die seit 1915 bei Klees in München deponiert waren. Dabei ging es nicht nur um strittige Besitzverhältnisse, sondern es wurden – von Münters Seite – auch persönliche Spannungen im Verhältnis zwischen den Dreien benannt. 

Nina Kandinsky als Hüterin des Andenkens

Nina Kandinsky begann erst um 1930 als Korrespondenzpartnerin – im Austausch mit Lily Klee – am Briefwechsel teilzunehmen (Abb. 12)

 
 

Vor allem nach dem Umzug des Bauhauses nach Berlin und der Emigration beider Paare aus Deutschland im Dezember 1933 intensivierte sich ihr Schriftwechsel. Allerdings haben sich von den zahlreichen Briefen der 1930er Jahre nur einige wenige Geburtstagsglückwünsche und Weihnachtsgrüsse erhalten. Die Mehrzahl ihrer Briefe scheint verloren zu sein, und man erfährt von ihnen lediglich durch Lilys Gegenbriefe. Nach allem, was sich erschliessen lässt, müssen sie jedoch – analog zu Lily Klees Schilderungen aus Bern – detaillierte Beschreibungen der Wohn- und Lebenssituation des Ehepaares Kandinsky in der Zeit der Emigration enthalten haben.
Erst nach Lilys Tod 1946 und nach der Rückkehr von Felix Klee aus dem zweiten Weltkrieg entwickelte sich eine eigenständige Korrespondenz mit Felix. Auch wenn sie am Ende fast nur noch aus Ansichts- und Grusspostkarten besteht, enthält sie doch zu Beginn wertvolle Informationen über die beginnende Rezeptionsgeschichte, sowohl von Paul Klee wie von Wassily Kandinsky. Insbesondere lässt sich in den erhaltenen Schreiben verfolgen, welche Sicherheit Nina Kandinsky in den 1950er und 1960er Jahren im Zusammenhang mit der wachsenden Anerkennung Kandinskys als Pionier der abstrakten Kunst gewann, und wie sie zunehmend eine aktive Rolle als Künstlerwitwe einnahm. 

Felix Klee als Verehrer

Felix Klee schliesslich hatte eine besondere Stellung im Kommunikationsfeld zwischen Klee und Kandinsky. Nach seinen Erinnerungen zu schliessen, entwickelte er bereits als Kind von sechs bis acht Jahren ein besonderes Verhältnis zu Kandinsky (Abb. 13). Dessen Persönlichkeit und die Farben seiner Gemälde hatten ihn, wie er später schrieb, »völlig in ihren Bann geschlagen«.19 Tatsächlich haben sich aus den Jahren 1914 - 1921 zahlreiche Aquarelle Felix Klees erhalten, die die Spuren Kandinskys zeigen. Schwungvoll und kräftig aufgetragene Farben und eine fliessende Dynamik des Pinselstrichs machen deutlich, dass Kandinskys Malweise seinem jugendlichen Künstlerdrang näher gestanden hat als die strukturierteren  Formen seines Vaters. Eines dieser Blätter wurde sogar zur »Hommage à Kandinsky« erklärt. 

 
 

In Weimar, wo Felix als jüngster Schüler des Bauhauses eingeschrieben war, nahm ihn Kandinskys Ausstrahlung erneut gefangen. Als Sohn von Paul Klee, aber auch mit dem Selbstbewusstsein eines angehenden Künstlers, beteiligte er sich an den Ritualen zwischen den beiden Familien. Mit seinen Zeichnungen trug er sich in Ninas Gästebücher ein und – in Anlehnung an den Geschenketausch zwischen Kandinsky und seinem Vater (siehe unten) – beschenkte auch er Kandinsky mit eigenen Werken. Analysiert man deren Bildsprache, so stellt man fest, wie sehr er dabei zwischen den beiden Vorbildern schwankte (Abb. 14).
Aber selbst nachdem sich Felix auf Anraten seines Vaters entschieden hatte, nicht Künstler zu werden, sondern ans Theater zu gehen, blieb die Verbindung zu Kandinsky lebendig. 1927 durfte er als Regieassistent bei dessen Inszenierung von Moussorgskys Bilder einer Ausstellung im Dessauer Friedrich Theater mitwirken.  In den 1930er Jahren begann Felix mit »Meister Kandinsky« eine eigene Korrespondenz, die zwar keine Regelmässigkeit erreichte, in der er ihm aber stolz aus seiner Theaterarbeit berichtete und wiederholt seine anhaltende Verehrung gestand. »Gerne hätte ich mal neue Werke von Ihnen wiedergesehen«, schrieb er ihm im April 1942, »nach solchen habe ich oft eine unbeschreibliche Sehnsucht. Seit meinen frühesten Erinnerungen bindet mich ein grossartiger Kontakt zu Ihrer Art, Wesen, Kunst und Persönlichkeit. Da mögen Jahre des Schweigens dahingegangen sein, das ändert nichts an der Tatsache.«20 Nach Kandinskys Tod und seiner Rückkehr aus Kriegsgefangenschaft nahm Felix mit Nina Kandinsky erneut Verbindung auf und hielt – in der gemeinsamen Rolle als Hinterbliebene – die Beziehung bis zu ihrem Tod aufrecht. 

Gespräche

In den Jahren am Bauhaus, als die Künstler sich regelmässig trafen, aber auch schon in den ersten Jahren ihrer Bekanntschaft (1912 - 1914), als beide in München nur wenige Hausnummern voneinander entfernt in der Schwabinger Ainmillerstrasse wohnten, lebte ihre Verbindung weniger durch Briefe und Karten als durch das persönliche Gespräch – über das allerdings naturgemäss wenig bekannt ist. Wohl überliefern die Fotografien ihre Zusammenkünfte am runden Teetisch (Abb. 15) und wohl wissen wir von Essenseinladungen und Hausmusikabenden, gemeinsamen The­ater­­besuchen und Spaziergängen in der Umgebung. Auch über frühlingshafte Kutschenfahrten in die Anhaltische Schlösserlandschaft sind wir informiert und über den Brauch, das Weihnachtsfest bei Klees und die Silvesternacht bei Kandinskys gemeinsam zu feiern. 

Über die Art ihrer Gespräche kann man nur Vermutungen anstellen. Waren es hauptsächlich fachliche Diskussion oder zwanglose Konversation, pointierter Disput oder Austausch von Neuigkeiten aus dem Bauhausbetrieb? Folgt man der Schilderung Klees über ihr letztes Beisammensein am Dessauer Bauhaus am 29. November 1932, so mag der Tenor einer qualitätvollen Konversation vorgeherrscht haben – mit ernsten Themen, aber auch einer gewissen Konventionalität. »Was geschah denn in den zwei Tagen sonst noch äusserlicher Weise?«, schrieb Klee an seine Frau, »Ein Abendbesuch von Herrn Nachber und von der Frau Nachberin. Es waren einige nette Stunden, man plauderte so leicht über dem Bass des Schicksals, das jetzt wieder einmal ›auseinander!‹ sagt.«21
Künstlerische Fragen dagegen, so schreibt zumindest Nina Kandinsky in ihren Lebenserinnerungen, seien bei ihren Zusammenkünften niemals diskutiert worden.22 Dies bezieht sich hauptsächlich auf die familiären Zusammenkünfte mit den Ehefrauen und kann auch punktuell widerlegt werden.23 Dennoch ist es nicht auszuschliessen – nicht zuletzt wegen Klees Abneigung gegen das Theoretisieren –, dass diese Auseinandersetzung zumeist nicht verbal sondern vor allem im Medium ihrer Werke geführt wurde. 

Kunst- und andere Geschenke

Klee und Kandinsky, das ist bekannt, beschenkten sich während der Bauhaus-Jahre regelmässig zu ihren Geburtstagen und zu Weihnachten mit eigenen Werken und Publikationen (Abb. 16).24

 
 

Der Austausch der Geschenke folgte dabei einem festen Rhythmus. Zunächst erhielt Kandinsky zu seinem Geburtstag am 4. Dezember ein Werk Klees, zwei Wochen später revanchierte er sich zu Klees Geburtstag am 18. Dezember mit einer Gegengabe. An Weihnachten wiederholte sich der Tausch. Die Geschenke hatten dabei mehrere Dimensionen, waren freundschaftliche Aufmerksamkeiten und künstlerische Stellungnahmen in einem. Nicht immer handelte es sich dabei um neue Werke. Vielmehr scheinen die Geschenke nach grundsätzlichen Überlegungen ausgewählt worden zu sein, denn sie markierten über die Jahre hinweg immer wieder die gleichen Positionen ihrer Kunstauffassung. Im Mittelpunkt dieser »Grundsatzdebatte« stand die Frage nach Abstraktion und Realitätsbezug. Denn während Kandinsky die Ungegenständlichkeit verfocht, praktizierte Klee eine Mischung aus abstrakten Bildelementen und Motiven der Realität und vertrat das Credo von der Natur als Grundlage jeglicher Kunst. Schon die ersten beiden Geschenke Klees an Kandinsky im Jahr 1922 – Pflanzenwachstum, 1921, 193 (Abb. 17) und KN der Schmied, 1922, 173 (Abb. 18) – tragen programmatische Züge.

 
 

In Pflanzenwachstum streben von unten, wie aus dunkler Erde, eine Reihe von Schösslingen ans Licht und nehmen dabei Kunstformen an, ohne den Bezug zur Natur zu verlieren. Bei KN der Schmied dagegen vollzieht eine menschliche Figur rotierende Bewegungen von oben und versucht mit mechanischer Schwungkraft die heraufdrängenden organischen Formen zu bekämpfen. Zugleich weist ein grosser roter Pfeil von seinem Kopf aus in unbekannte Höhen. Liest man nun »KN« als namentliche Anspielung auf Kandinsky, so scheint Klee mit den beiden Bildern verklausulierte Darstellungen ihrer unterschiedlichen ästhetischen Konzepte überreicht zu haben. Planzenwachstum entspricht dabei seiner eigenen Überzeugung einer Analogie von Kunst und Natur, in KN der Schmied dagegen charakterisierte Klee Kandinskys Kunstauffassung als Verbindung von theoretischer Spekulation und einem naturfeindlichen, menschlichen Kraftakt.
Auch im weiteren Fortgang des Jahrzehnts am Bauhaus ist zu beobachten, dass Klee mit Vorliebe figürlich-erzählerische Szenen schenkte, so als wolle er seine Überzeugung des fundamentalen Bezugs zwischen Kunst und Natur immer wieder aufs Neue unterstreichen. Umgekehrt scheint Kandinsky Klees Vorgaben jeweils mit geradezu erzieherischem Impetus beantwortet und seine Erzählungen ebenso nachdrücklich in abstrakte Kompositionen umformuliert zu haben.25 Auf Klees grotesk-aggressive Schlachtmaschine in Tieropfer, 1924, 144, reagierte Kandinsky mit den spitzen Formen des geometrisch-abstrakten Aquarells Kühles Gelb, 1924, und auf den gnomenhaften Geist auf dem Stiel, 1930, 232 (Abb. 19) mit der Gleichgewichtskonstruktion Schwache Stütze, 1930 (Abb. 20)

 
 

 

Fotoalbum

Auf andere Weise als durch Geschenke gehörte zum persönlichen Austausch der beiden Künstler auch das gegenseitige Fotografieren, bzw. Fotografiert-Werden. Es konzentriert sich auf die Dessauer Bauhausjahre und ergibt ein kleines Album ihrer freundnachbarschaftlichen Kultur im Meisterhaus. Die Aufnahmen wurden vor allem von den beiden Frauen gemacht, die Fotografierten waren in der Regel Klee und Kandinsky. Zumeist entstanden dabei Doppelporträts, sei es auf Kandinskys Terrasse, am Teetisch vor dem Haus oder während eines Ferienaufenthalts an der französischen Atlantikküste. Private Vertrautheit wird in diesen Aufnahmen ebenso vermittelt wie repräsentativer Anspruch. Insbesondere Kandinsky beherrschte das Posieren vor der Kamera, ohne dabei formell zu wirken: In aufrechter Haltung, mit offenem Blick oder mit tadellos übereinandergeschlagenen Beinen. Klee dagegen liess das Fotografieren eher mit freundlicher Zurückhaltung über sich ergehen oder ironisierte mit seinen Faxen den Zwang zur Selbstinszenierung (Abb. 21)

Auch wenn die Fotos im privaten Zusammenhang entstanden, so sind sie zugleich auch im Kontext des Dessauer Bauhauses zu sehen, wo die Selbstdokumentation der spezifischen Lebenswelt der Bauhäusler »zu einer wahren Gemeinschafts-Begeisterung« ausartete.26 Man denke an die zahlreichen Fotos, die vor allem die Bauhaus-Studierenden von ihrem Alltag in der Schule machten und mit Porträts und zahllosen Gruppenaufnahmen ihr kollektives Bewusstsein und ihre Andersartigkeit gegenüber der bürgerlichen Welt dokumentierten. Die Aussenfassaden der Bauhausgebäude, die Unterrichtsräume und die opulenten Dekorationen ihrer Feste bildeten dabei häufig den formalen Bezugspunkt der bauhäuslerischen Gemeinschaft.27

 
 


Auch die Ehepaare Klee und Kandinsky schlossen sich mit ihren Aufnahmen letztlich der grassierenden Foto-Kultur an. Und auch bei ihnen wird vielfach der architektonische Zusammenhang mit »ihrem« Meisterhaus identitätsstiftend hergestellt. Anders freilich ist das Lebensgefühl, das sie vermittelten. Statt der unkonventionellen und fröhlichen Dynamik der Studierenden drücken sie das bürgerliche Gefühl gepflegter Mussestunden und den kultivierten Genuss eines entspannten Gesprächs aus. 

Insbesondere Lily Klee war als Fotografin aber auch noch in einem weiteren Sinn mit dem Bauhaus verbunden. Denn manche ihrer Aufnahmen lassen erkennen, wie sie sich von den am Bauhaus üblichen Kameraexperimenten anregen liess. Sie setzte Diagonalen und Schrägen ein oder arbeitete mit optischen Überraschungen. Das Gruppenbild im Schattenwurf, bei dem sie mit der Kamera vor dem Auge zwischen Wassily und Nina Kandinsky unschwer zu erkennen ist, stellt ein Beispiel dieser zeitgemässen Experimente dar, die sie möglicherweise auch mit einem gewissen künstlerischen Ehrgeiz betrieb (Abb. 22).
 

So sind die Fotografien, die zwischen 1927 und 1932 in Dessau entstanden, wichtige Dokumente ihrer Beziehung während der Bauhauszeit. Obwohl typische Amateurfotografien handelt es sich nicht nur um »Familienfotos«, sondern ebenso um Ausweise ihres beruflichen und gesellschaftlichen Erfolges. Zwar werden auch hier die persönlichen Unterschiede deutlich, vorrangig aber sind sie Dokumente einer Gemeinsamkeit. Denn anders als auf dem Gebiet der Kunst scheinen sie sich im Hinblick auf ihren gesellschaftlichen Rang einig gewesen zu sein und repräsentierten die Konstellation der »Meister am Bauhaus«. 

Die Publikation

Für die Publikation des Briefwechsels ist eine Editionsform vorgesehen, die präzise Wissenschaftlichkeit mit dem Charakter eines Lesebuches verbindet. Aus diesem Grund soll es neben dem wissenschaftlichen Kommentar eine Kapitelgliederung mit einführenden Texten geben. Die Reihenfolge der Briefe folgt der Chronologie, um Rede und Gegenrede erfahrbar zu machen.

Eine besondere Frage ist die Einbeziehung der Korrespondenz von Lily Klee, Gabriele Münter und Nina Kandinsky. Grundsätzlich sollten diese Briefe berücksichtigt werden, da sie – wenn auch nicht im Wortlaut der Künstler selbst – die einzige Quelle für viele Einzelheiten ihrer Lebensumstände darstellen. Allerdings besteht die Gefahr, dass bei einer gleichwertigen Einbeziehung dieser Briefe, insbesondere derjenigen von Lily Klee, die Publikation einseitig dominiert wird. Deshalb werden hier Streichungen vorgenommen, wobei sowohl daran gedacht ist, ganze Briefe wegzulassen, als auch passagenweise zu kürzen. Um die vollständige Korrespondenz einschliesslich der verschollenen Briefe zu dokumentieren, wird in den Anhang ein Gesamtverzeichnis sämtlicher Briefe von allen Beteiligten aufgenommen. 

Neben den schriftlichen Zeugnissen werden auch die Geschenke und Fotografien einbezogen. Da sie, zumindest während der Bauhauszeit, zeitweise die hauptsächlichen Kommunikationsmedien darstellen, ist zu überlegen, sie in die Chronologie einzureihen. Bei den Geschenken wird sich die Auswertung auf den Aspekt des Dialogs konzentrieren, bei den Fotografien geht es zunächst einmal um die Datierung und die Bestimmung der Autorschaft, bevor sie in den biografischen Ablauf eingeordnet werden können. 

Als zusätzliche Dokumente sollen ausserdem die beiden Texte, die die Künstler übereinander schrieben, aufgenommen werden: Klees Katalogbeitrag zu Kandinskys 60. Geburtstag und Kandinskys Text zu Klees Abschied vom Bauhaus Dessau, der 1931 in der Zeitschrift bauhaus erschien.28 

Die wissenschaftliche Bearbeitung des Briefwechsels Klee-Kandinsky wird von der Gerda Henkel Stiftung finanziert. 
Die Publikation wird unterstützt durch die Museumsstiftung für Kunst der Burgergemeinde Bern.


1    Siehe Hopfengart 2015, S. 34 - 57.

2    Kandinsky/Marc 1983; Schönberg/Kandinsky 1980; Kandinsky/Albers 1998; Kandinsky/Grohmann 2015; Christian Derouet (Hrsg), Vassily Kandinsky correspondances avec Zervos et Kojève, Les Cahiers du Musée National d‘Art Moderne, Hors-Série/Archives, Paris 1992. 

3    Glaesemer 1979; Jawlensky/Klee/Werefkin 2013.

4    Kandinsky/Klee 1984/1985.

5    Der Briefwechsel Klee - Kandinsky wird von der Autorin bearbeitet und herausgegeben. Das vorgesehene Erscheinungsdatum ist Herbst 2017. 

6    Paul Klee an Lily Klee, 3.7.1927, 29.11.1932, 5.12.1932, in: Klee 1979, S. 1047, 1203, 1205.

7    Siehe Hopfengart 2015, S. 53.

8    Felix Klee, Vorwort, in: Klee 1979, S. [5].

9    Paul Klee an Lily Klee, 6.7.1927, 21.9.1929, 3.10.1929, in: Klee 1979, S. 1047, 1102, 1105.

10    Grohmann 1968, S. 76. 

11    Wassily Kandinsky an Paul Klee, 7.8.1912, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee.

12    Barbara Wörwag, »Wassily Kandinsky schreibt an den Kunstkritiker Will Grohmann (1923 - 1943) «, in: Kandinsky/Grohmann 2015, S. 16. 

13    Ebd., S. 13.

14    Kandinsky/Marc 1983, S. 90. 

15    »Ein neuer Naturalismus??«, in: Das Kunstblatt, Heft 9, 1922, S. 368-414; insbesondere Wassily Kandinsky, S. 384 - 387.

16    Wassily Kandinsky, »Réponse à l'enquête sur l'art abstrait«, in: Cahiers d‘art, 6. Jg., Heft 7 - 8, 1931, S. 350-353; Wassily Kandinsky, »L’art aujourd’hui est plus vivant que jamais«, in: Cahiers d‘art, 10. Jg., Heft 1 - 4, 1935, S. 53 - 56. 

17    Ausnahme ist die Umfrage für die Hauszeitschrift der Galerie Goltz, Ararat, 1921 (»Über den Wert der Kritik«, in: Klee 1976, S. 123). Über Klees Unwilligkeit gegenüber den Cahiers d‘art siehe Derouet 1992, S. 10; Fragebogen vom Carnegie Institute, Department of Fine Arts, in Pittsburgh, datiert mit einem Gummistempel: »JUL 27 1939«. Kopie im Zentrum Paul Klee, Bern (Schenkung Familie Klee).

18    Brief Wassily Kandinsky an Paul und Lily Klee, 10.09.1914, Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee.

19    Klee 1984, S. 2.

20    Felix Klee an Wassily Kandinsky, 20.4.1942, Fonds Kandinsky, Centre Pompidou, Paris. 

21    Paul Klee an Lily Klee, 29.11.1932, in: Klee 1979, S. 1203. 

22    Kandinsky 1976, S. 199.

23    Paul Klee an Lily Klee, 1.10.1930, in: Klee 1979, S. 1144. 

24    Zum Bildertausch Klees siehe Helfenstein 1997; zum Tausch Klee-Kandinsky ausserdem Bern/München 2015/2016, S. 46f., 210. 

25    Siehe Hopfengart 2015, S. 47. 

26    Haus 1990, S. 127.

27    Siehe Berlin 1990, Abb. S. 128 - 133, 136 - 137.

28    Klee 1926; Kandinsky 1931.


Literatur

Künstlerschriften:

Fragebogen vom Carnegie Institute, Department of Fine Arts, Pittsburgh, datiert mit einem Gummistempel: »JUL 27 1939«. Kopie im Zentrum Paul Klee, Bern (Schenkung Familie Klee).

Jawlensky/Klee/Werefkin 2013
Alexej Jawlensky, Paul und Lily Klee, Marianne Werefkin, »In inniger Freundschaft«. Der Briefwechsel, hrsg. vom Zentrum Paul Klee und Stefan Frey, Zürich 2013.

Kandinsky 1931
Wassily Kandinsky, »[Paul Klee]«, in: bauhaus. zeitschrift für gestaltung, Heft 3, 1931, [S. 2].

Kandinsky/Albers 1998
Kandinsky - Albers. Une correspondance des années trente / Ein Briefwechsel aus den dreissiger Jahren, hrsg. von Jessica Boissel, Les Cahiers du Musée national d’art moderne, Hors-Série/Archives, Paris 1998.

Kandinsky/Grohmann 2015
Wassily Kandinsky. Briefe an Will Grohmann 1923-1943, hrsg. von Barbara Wörwag, unter Mitarbeit von Annegret Hoberg, München 2015.

Kandinsky/Klee 1984/1985
Sandor Kuthy und Stefan Frey, »Kandinsky und Klee: Aus dem Briefwechsel der beiden Künstler und ihrer Frauen 1912 - 1946«, in: Berner Kunstmitteilungen, Nr. 234 - 236, Dezember 1984/Februar 1985, S. 1 - 24.

Kandinsky/Marc 1983
Wassily Kandinsky, Franz Marc, Briefwechsel. Mit Briefen von und an Gabriele Münter und Maria Marc, hrsg. von Klaus Lankheit, München und Zürich 1983.

Klee 1926
Paul Klee, »Beitrag zum 60. Geburtstage W. Kandinskys«, in: Kandinsky, Jubiläumsausstellung zum 60. Geburtstag, Galerie Arnold, Dresden 1926, S. 6 und 8; wiederabgedruckt in: Klee 1976, S. 127 f.

Klee 1976
Paul Klee. Schriften, Rezensionen und Aufsätze, hrsg. von Christian Geelhaar, Köln 1976.

Klee 1979
Paul Klee. Briefe an die Familie 1893 - 1940, hrsg. von Felix Klee, 2 Bde., Köln 1979.

Klee 1984
Felix Klee, »Meine Begegnungen mit Wassily Kandinsky«, in: Berner Kunstmitteilungen, Nr. 227, Januar/Februar 1984, S. 1 - 4.
Schönberg/Kandinsky 1980
Arnold Schönberg - Wassily Kandinsky. Briefe, Bilder und Dokumente einer aussergewöhnlichen Begegnung, hrsg. von Jelena Hahl-Koch, Salzburg 1980.

Ausstellungskataloge:

Berlin 1990
Fotografie am Bauhaus, Ausst.-Kat. Bauhaus-Archiv, Berlin 1990.

Bern/München 2015/2016
Klee & Kandinsky. Nachbarn, Freunde, Konkurrenten, Ausst.-Kat. Zentrum Paul Klee, Bern; Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau, München 2015/2016.

Buchpublikationen / Aufsätze:

Derouet 1992
Christian Derouet (Hrsg.), Vassily Kandinsky correspondances avec Zervos et Kojève, Les Cahiers du Musée national d'art moderne, Hors-Série/Archives, Paris 1992.

Glaesemer 1979
Jürgen Glaesemer, »Paul Klees persönliche und künstlerische Begegnung mit Alfred Kubin«, in: Paul Klee. Das Frühwerk 1883 - 1922, Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus, München 1979/1980, S. 63 - 97. 

Grohmann 1968
»Lieber Freund...«. Künstler schreiben an Will Grohmann, hrsg. von Karl Gutbrod, Köln 1968.

Haus 1990
Andreas Haus, »Fotografie am Bauhaus: Die Entdeckung eines Mediums«, in: Berlin 1990, S. 126 - 183.

Helfenstein 1997
Josef Helfenstein, »,Die kostbarsten und persönlichsten Geschenkeʼ - Der Bildertausch zwischen Feininger, Jawlensky, Kandinsky und Klee«, in: Die Blaue Vier. Feininger, Jawlensky, Kandinsky, Klee in der Neuen Welt, hrsg. von Vivian Endicott Barnett und Josef Helfenstein, Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bern; Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1997/1998, S. 79 - 136.

Hopfengart 2015
Christine Hopfengart, »Klee und Kandinsky - gute Nachbarn«, in: Bern/München 2015/2016, S. 34 - 57.  

Kandinsky 1976
Nina Kandinsky, Kandinsky und ich, München 1976.

 

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