ZWITSCHER-MASCHINE

View Original

Paul Klee Forschungspreis für fibrosierende Erkrankungen 2021

Herausragende Schweizer Fibrose-Forschung zum ersten Mal prämiert

Der neu gegründete Paul Klee Forschungspreis für fibrosierende Erkrankungen hat am 20. August 2021 seine ersten Preisträger geehrt. Die Preisverleihung am Zentrum Paul Klee fand als wissenschaftliches Symposium statt, in dessen Rahmen die ausgezeichneten Projekte vorgestellt wurden.

Der Maler und Grafiker Paul Klee (1879-1940) litt in den letzten sechs Jahren seines Lebens an Sklerodermie, einer seltenen und fortschreitenden Krankheit, die durch fibrosierende Prozesse gekennzeichnet ist. Zu Klees Lebzeiten noch weitgehend unbekannt, ist Sklerodermie heute wirkungsvoll behandelbar – wenn auch noch nicht heilbar. Das verdeutlicht, wie eminent wichtig es ist, auch seltene Krankheiten intensiv und breit zu erforschen. Darum hat Boehringer Ingelheim Schweiz den ersten Schweizer Forschungspreis für fibrosierende Erkrankungen ins Leben gerufen und die Paul Klee Stiftung dankenswerterweise das Namenspatronat gesprochen. Der jährlich ausgeschriebene und verliehene Forschungspreis richtet sich explizit an den wissenschaftlichen Nachwuchs. Prämiert werden drei Promotionsarbeiten aus Präklinik, Klinik oder Geisteswissenschaften mit je 2'000 Franken sowie eine Projektidee mit 20'000 Franken.

Ein unabhängiges, interdisziplinär zusammengestelltes Review-Komitee hat die zahlreich eingereichten Projekte geprüft. Am 20. August 2021 wurden in feierlichem Rahmen am Zentrum Paul Klee in Bern die vier Preisträger der ersten Ausschreibung geehrt. Dabei lobten die beiden Gastgeber, Prof. Dr. med. Thomas Geiser, Direktor und Chefarzt Universitätsklinik für Pneumologie am Inselspital Bern und Vorsitzender des Review-Komitees, und PD Dr. Rolf Kaiser, Medizinischer Direktor von Boehringer Ingelheim Schweiz, die hohe Qualität und fachliche Breite der eingereichten Forschungsprojekte.

Fachlicher Höhepunkt des Anlasses war die Vorstellung der Siegerprojekte durch die Preisträger selbst. Eröffnet wurde das wissenschaftliche Symposium jedoch nicht aus medizinischer, sondern aus kunsthistorischer Perspektive. Dr. phil. Walther J. Fuchs, Kunsthistoriker und Klee-Experte, zeigte anhand von ausgewählten Werken, welchen Einfluss Klees Krankheit auf sein Schaffen hatte – oder gehabt haben könnte. Denn Dr. Fuchs betonte, dass Aussagen zur Wechselwirkung zwischen Leben und Schaffen Paul Klees nur auf der Basis solider Evidenz getroffen werden sollten. Spannende Aussagen anhand belastbarer Evidenz – das ist auch eine herausragende Eigenschaft der prämierten vier Forschungsprojekte.

Agnes Kocher vom Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel hat die Versorgungssituation von Patienten mit systemischer Sklerose untersucht und dabei Defizite beim Zugang zu verständlichen digitalen Informationen, spezialisierter Versorgung und qualifizierter Unterstützung nachgewiesen. Diese Defizite möchte sie mithilfe eines multimethodischen Versorgungsmodells beheben.

Robert G. Brenig befasste sich in seinem Promotionsprojekt am Kantonsspital St. Gallen und am Universitätsspital Basel mit den Ursachen für die reduzierte Immunabwehr von Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose. Er fand heraus, dass bei diesen Patienten der AXL-Rezeptor auf den Monozyten stark ausgeprägt und für die erhöhte Infektanfälligkeit mitverantwortlich ist. Die Resultate des Preisträgers geben Anlass zur Hoffnung, dass AXL-produzierende Monozyten nicht nur als prädiktive Biomarker, sondern auch als immuntherapeutischer Ansatzpunkt dienen könnten.

Ursina Nüesch schliesslich, wurde für ihre Forschung am Kinderspital Zürich zur TTC7A-Defizienz, einer seltenen, häufig schwer verlaufenden monogenetischen Erkrankung ausgezeichnet. Anhand eines Maus-Modells konnte sie zeigen, dass eine Funktionsstörung der Fibroblasten für die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, die mit einer TTC7A-Defizienz einhergehen, mitverantwortlich ist. Mutierte Fibroblasten induzieren bei benachbarten Keratinozyten nämlich eine übermassige Vermehrung.

Den ersten Hauptpreis des Paul Klee Forschungspreises nahm Prof. Dr. Britta Maurer, Direktorin und Chefärztin der Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie des Inselspitals, entgegen – stellvertretend für ein interdisziplinäres Team aus Zürich und Bern. Das Team hat sich zum Ziel gesetzt, mithilfe des Radiomics-Ansatzes, der computergestützten Datenverarbeitung medizinischer Bildgebungsverfahren, die Prognose von Patienten mit fibrosierender interstitieller Lungenerkrankung massgeblich zu verbessern. Die Resultate einer ersten Pilotstudie sind vielversprechend: Sie ermöglichen präzise Vorhersagen zum Progressionsrisiko der Patienten.

Zum Abschluss der Veranstaltung präsentierte Prof. Carlo Chizzolini, Klinik für Immunologie und Allergologie des Universitätsspitals Genf und Mitglied des Review-Komitees, ausgewählte Highlights seiner eigenen langjährigen Fibrose-Forschung und motivierte die anwesenden jungen Forschenden, sich ihre wissenschaftliche Neugier und Leidenschaft zu bewahren und sich weiterhin für die Erforschung der fibrosierenden Erkrankungen einzusetzen.


Preisträger 2021

Prof. Dr. med. Britta Maurer, Direktorin und Chefärztin der Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie des Inselspitals Bern

HRCT-based radiomics for drug response prediction in progressive fibrosing interstitial lung disease

Den Hauptpreis für die beste Projektidee des Paul Klee Forschungspreises nahm Prof. Dr. Britta Maurer, Direktorin und Chefärztin der Universitätsklinik für Rheumatologie und Immunologie des Inselspitals, entgegen – stellvertretend für ein interdisziplinäres Team aus Zürich und Bern. Das Team hat sich zum Ziel gesetzt, mithilfe des Radiomics-Ansatzes, der computergestützten Datenverarbeitung medizinischer Bildgebungsverfahren, die Prognose von Patienten mit fibrosierender interstitieller Lungenerkrankung massgeblich zu verbessern. Die Resultate einer ersten Pilotstudie sind vielversprechend: Sie ermöglichen präzise Vorhersagen zum Progressionsrisiko der Patienten.

Dr. Agnes Kocher, Ph.D., dipl. Pflegfachfrau, Institut für Pflegewissenschaft der Universität Basel

MANagement Of patients with Systemic Sclerosis: Development of an innovative chronic care model by a mixed methods study (MANOSS project)

Frau Kocher untersuchte in ihrer Promotionsarbeit die Versorgungssituation von Patienten mit systemischer Sklerose und hat dabei Defizite beim Zugang zu verständlichen digitalen Informationen, spezialisierter Versorgung und qualifizierter Unterstützung nachgewiesen. Diese Defizite möchte sie mithilfe eines multimethodischen Versorgungsmodells beheben.

Dr. sc.nat. Robert G. Brenig, Assistenzarzt Innere Medizin Spitäler fmi AG, Interlaken

How TAM receptors on monocytes and macrophages regulate the immune system in liver cirrhosis

In seinem Promotionsprojekt am Kantonsspital St. Gallen und am Universitätsspital Basel befasste sich Herr Brenig mit den Ursachen für die reduzierte Immunabwehr von Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose. Er fand heraus, dass bei diesen Patienten der AXL-Rezeptor auf den Monozyten stark ausgeprägt und für die erhöhte Infektanfälligkeit mitverantwortlich ist. Die Resultate des Preisträgers geben Anlass zur Hoffnung, dass AXL-produzierende Monozyten nicht nur als prädiktive Biomarker, sondern auch als immuntherapeutischer Ansatzpunkt dienen könnten.

Dr. Ursina Nüesch, Dr. sc.nat./Ph.D. in Immunologie, Kinderspital Zürich

Epithelial proliferation in inflammatory skin disease is regulated by Ttc7 in lymphocytes and fibroblasts 

Für ihre Forschung am Kinderspital Zürich zur TTC7A-Defizienz, einer seltenen, häufig schwer verlaufenden monogenetischen Erkrankung, wurde Frau Nüesch ausgezeichnet. Anhand eines Maus-Modells konnte sie zeigen, dass eine Funktionsstörung der Fibroblasten für die chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, die mit einer TTC7A-Defizienz einhergehen, mitverantwortlich ist. Dabei haben die Lymphozyten nur einen modulierenden Effekt auf das Epithel.


«Paul Klee. The intersection of life and work?»

Dr. phil. Walther J. Fuchs

Felix Klee, Paul Klee arbeitet in seinem Atelier, Kistlerweg 6, Bern, am Zwang dem Berg 1939, 613 (FF 13), Fotografie, 8.1939. Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Familie Klee.

© Zentrum Paul Klee, Bern, Bildarchiv.

Paul Klee selbst hätte kaum je über seine Krankheit gesprochen, erklärte Dr. phil. Walther Fuchs in seinem Eröffnungsreferat zur Preisverleihung. Dr. Fuchs ist Leiter des Digiboo Verlags, Publizist und Mitinitiant sowie -herausgeber der Zeitschrift «Die Zwitscher-Maschine. Journal on Paul Klee. Zeitschrift für internationale Klee-Studien.»

Das meiste, was wir heute über die Erkrankung von Paul Klee wissen, die 1940 im Alter von 61 Jahren zu seinem Tod führte, stammt aus der Korresponenz seiner Gattin Lilly Klee. Anhand dieser und weiterer Aufzeichnungen wurde sie post mortem als progressive systemische Sklerose identifiziert. Zu Klees Lebzeit war die Krankheit noch nicht bekannt. Dem in die Schweiz geflohenen «Star» der klassischen Moderne wurde zwar die beste medizinische Versorgung seiner Zeit zuteil, dennoch schritt die Krankheit voran und beeinflusste sein Leben und sein künstlerisches Schaffen. Dieser gegenseitigen Wechselwirkung ging Dr. Fuchs anhand von ausgewählten Werken Paul Klees nach.

Ein zentrales Werk in dieser Beziehung ist das Bild «Vorhaben» vom Frühjahr 1938. Es zeigt eine Gestalt mit hoffnungsvollem Ausdruck - möglicherweise ein Selbstportrait Klees. Es entstand in einer Phase der Zuversicht. Denn knapp drei Jahre nach Beginn seiner gesundheitlichen Probleme und einer stetigen Verschlechterung fühlte sich Paul Klee kurz vor Ostern 1938 überraschend gut. Der ärztliche Bescheid, dass es sich bei seiner Krankheit nicht um Krebs handle, liess Paul Klee und seine Frau Lilly hoffen. Hinzu kam der sich abzeichnende Durchbruch auf dem amerikanischen Kunstmarkt und die geplante Ausstellung im Kunsthaus Zürich.

Authentische, aber nicht zwingend autobiografische Referenzen lassen sich in diversen Werken Klees finden, mit Fortschreiten der Krankheit – er litt vor allem unter Herz- und Schluckbeschwerden – auch negative. So zum Beispiel das Bild «Das kranke Herz» von 1939. Doch Dr. Fuchs warnte davor, Leben und Werk von Paul Klee einfach gleichzustellen. Aussagen zur gegenseitigen Beeinflussung von Leben und Schaffen seien schwierig und müssten zwingend evidenzbasiert sein. Womit Dr. Fuchs wunderbar den Bogen zu den prämierten medizinisch-wissenschaftlichen Projekten schlug, welche als gemeinsames Ziel die Erforschung und Therapie der fibrosierenden Erkrankungen haben – wie beispielsweise die Sklerose, die Paul Klees Leben und Schaffen ein viel zu frühes Ende setzte.

Walther Fuchs, »Paul Klee und seine Krankheit Revisited«, in: Zwitscher-Maschine. Journal on Paul Klee / Zeitschrift für internationale Klee-Studien, 2017, Bd. 4, H. Autumn, S. 47–80.