KLEES KLEINE EXPERIMENTIER MASCHINE UND PRÄHISTORISCHE MALEREIEN IM MUSEUM OF MODERN ART (1937) IN NEW YORK
ELKE SEIBERT
Summary
This essay is going to substantiate Seibert´s hypothesis that the MoMA-exhibition Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa curated by Alfred H. Barr in 1937, which showed 150 copies of prehistoric rock paintings, colored and partly in original size, legitimized new artistic forms to represent the past. In a visionary way, Barr complemented the exhibition concept by a separate section comprising artefacts by European avant-gardists, such as Paul Klee, and the surrealists André Masson, Joan Miró and Jean Arp. This made a visual conversation available to the public.
Klee`s oil transfer drawing Little Experimental Machine (1921) which was exhibited at MoMA is a striking example, that prehistoric art influenced the genesis of contemporary art in der 1930s, in Europe and in the United States. But Barr`s art premier was not a by-product. For the generation of contemporary New York artists, Klee, Arp, Miró, Kandinsky, and Picasso, played a groundbreaking role and the New Yorkers were familiar with them from having studied in Paris. The juxtapositioning of the prehistoric and the avant-garde showed the diachronic axis of their presumed influence.
This article demonstrates that contemporary debates about prehistoric artists and their art concepts belonged to a general American discourse on »Primitivism«, in a transatlantic dialogue. Within this discourse, prehistoric paintings captivated their viewers by means of their hitherto unimaginable temporal distance and the magic of having found the earliest expression of human creativity.
Das Blatt Kleine Experimentier Maschine, 1921, 11, von Paul Klee bebildert am 20. Mai 1937 im Milwaukee Sentinel die Rezension zur Ausstellung Prehistoric Rock Pictures in Europe and Africa im Museum of Modern Art in New York (Abb. 1). Ausgewählt vom visionären Direktor Alfred H. Barr (1902 - 1981), ergänzte die Zeichnung seine Auswahl prähistorischer Felsbildkopien. Als Vierte einer Reihe, nach den wegweisenden Ausstellungen African Negro Art (1935), Cubism and Abstract Art (1935) und Dada, Fantastic Art, Surrealism (1936), präsentierte Barr diese Schau vorzeitlicher Bilder und lenkte die Aufmerksamkeit nordamerikanischer Künstler auf die Anfänge menschlicher Kreativität. Er war einer der frühen Kenner europäischer Avantgardekunst und ein Verfechter der US-amerikanischen These zum »Primitivismus« der Moderne, was ihn zu dieser Reihe von Ausstellungen angeregt hatte. Zudem brachte er als erster Kurator die Kopien der Frankfurter Sammlung Frobenius mit Bildern von Klee, Hans Arp, Joan Miró, André Masson, Wassily Kandinsky, Vladimir Lebedev und Mikhail Larionow in Verbindung.
In den Staaten geriet die einflussreiche Ausstellung erstaunlicherweise in Vergessenheit und gehört bisher noch nicht zum Kanon der nationalen Kunstgeschichte. Die Hypothesen der Verfasserin1 verwiesen in den letzten Jahren konkret auf die amerikanische Rezeptionsgeschichte und eröffneten ein neues Forschungsfeld zur Aneignung und zur Genese von Kunst durch die Prähistorie, das auch vom Zentrum Paul Klee aufgegriffen wird. Die Ausstellungen Paul Klee. L’ironie à l’œuvre im Centre Pompidou (2016) in Paris und 10 American Artists: After Paul Klee (2017/18) in Bern widmen sich unter anderem diesem Themenkomplex.
The forgotten exhibition: Prehistoric rock pictures from Europe and Africa
Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa eröffnete 1937 in jenem historischen Moment, als sich amerikanische Künstler von der figurativen Malerei lösten und sich der Abstraktion zuwandten. Obschon die Schau durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als auch durch den Tod des deutschen Leihgebers Leo Frobenius (1873 - 1938) in den Vereinigten Staaten in der Nachkriegszeit aus dem kunsthistorischen Fokus verschwand, wurde sie zu einem Katalysator bei der Aneignung prähistorischer Malerei durch US-amerikanische Gegenwartskünstler. Im MoMA-Archiv sind heute nur wenige Unterlagen für die Öffentlichkeit zugänglich und es grenzt an ein Wunder, dass ihre Rezeptionsgeschichte erst seit wenigen Jahren wieder Gegenstand der Forschung ist, in Europa und den Vereinigten Staaten. Hätte Alfred Barr die prähistorische Kunst bereits 1936 in seine Flow Chart eingetragen, wäre diese heute ein fester Bestandteil des Kanons zum »Primitivismus«. Dabei war es Zufall, dass gerade diese Ausstellung als letzte eröffnet wurde, denn Frobenius war zuvor ständig auf Expedition. Filmkuratorin Iris Barry sowie die Contemporary und Folk Art Kuratorin Dorothy Miller agierten, von der ersten Idee bis zum Ausstellungsdesign, als Protagonistinnen des MoMA und trieben das Projekt voran. Die Frankfurter Sammlung prähistorischer Felsbildkopien umfasste damals rund 3500 Bilder, die während 12 Expeditionen (1904 - 35) in situ in der Sahara, im Südlichen Afrika und in Europa von ausgebildeten Malerinnen und Malern angefertigt worden waren. Das MoMA entschied sich für Kopien aus der bekannten Altamira-Höhle und für »neue« Bilder aus Norwegen, Frankreich, Italien und Afrika. Jagdszenen komponiert aus den charakteristischen Handabdrücken, kombiniert mit Pferde-, Wisent-, Mammut- und Hirschkuhmotiven aus Europa; Ritualdarstellungen, Bilderwelten mit Bogenschützen, betenden und tanzenden Menschen, Antilopen, Elefanten, Giraffen und Löwen aus Afrika durchströmten die Räume. Überrascht haben die abstrakten Motive, arrangiert aus Punkten, Linien, Schraffuren, Zeichen und Symbolen. Bilder mit entmaterialisierten Körpern von Menschen und Tieren als auch mit amorphen Fels- und Landschaftsgebilden, im Katalog als »Formlinge« bezeichnet, wirkten für den Betrachter surreal und modern zugleich (Abb. 2).
Sie führen uns zurück zu Grundfragen der Kunstgeschichte. Ist die Abstraktion eine Erfindung der Moderne? Mit welcher Intention und in welchem Bewusstseinszustand gingen die eiszeitlichen Künstlerinnen und Künstler ans Werk? Wann beginnt die Kunstgeschichtsschreibung?
Obwohl Barr bereits seit 1935 in die Planungen involviert war, erwähnt er die prähistorische Kunst nicht in seiner Flow Chart, da er ihren Einfluss auf die Genese neuer Kunst und die Aura der Frankfurter Bilder zunächst unterschätzt hat. Zudem berichtet Barry in einem Brief an Barr, dass ein Grossteil der Kopien aus der vorangegangenen Europa-Tournee der Sammlung übernommen wird, so dass die Bildauswahl en gros den Felsbild-Schauen in Paris, Berlin, Frankfurt, Wien und Zürich entsprach. Barr wählte nur einen kleinen Teil während eines kurzen Besuchs im Juli/August 1936 in Frankfurt/M persönlich aus. Für die zweijährigen Tournee (1937 - 39) durch 29 US-amerikanische Städte (San Francisco Museum of Art, Los Angeles Museum of History, Science & Art, Academy of Natural Science in Philadelphia, City Art Museum in St. Louis, Honolulu Academy of Art, etc.) wurden während zwei Jahren (1935 - 37) eigens »Kopien der Kopien« im Frankfurter Atelier angefertigt.
Barr waren die grossformatigen Highlights der Sammlung ins Auge gestochen, die zuvor für alle Ausstellungen in Europa ausgeliehen worden sind. Er wählte klassische Felsbildmotive aus Frankreich als auch neu entdeckte Felsmalereien aus der ägyptischen Wüste und Südafrika aus. Beeindruckt von der Modernität der abstrakten Motivgruppen aus Norwegen und Oberitalien und den surrealen Naturdarstellungen aus Namibia, schwebte ihm, bald nach der Hängung der Kopien in den Räumen des MoMA, ein Dialog mit Kunstwerken der Avantgarde vor. Nur wenige schwarz-weisse Fotografien zum qualitativen Vergleich der Medien und zur Visualisierung der Felsoberfläche sollten die gemalten Kopien ergänzen, obwohl in Frankfurt Tausende von Fotos vorhanden gewesen wären. Er konzentrierte sich auf das Malerische: die flüchtigen Aquarelle und Kopien mit stark übermalten, mehrfach überarbeiteten Oberflächen hatten alle Kuratoren interessiert, auch in Europa.
Die Frankfurter Kopistinnen und Kopisten wurden in den Staaten, mehr als in der Heimat, als Künstler wahrgenommen: während ihre Bilder in Deutschland als »Auftragsarbeiten« nur den Status von Faksimiles innehatten, repräsentierten sie aus amerikanischer Sicht gleichermassen »deutsche Gegenwartskunst«. Die Kopie war im MoMA bereits 1932 als eigenständiges Kunstwerk durch die Ausstellung Persian Fresco Painting eingeführt worden. Die Eigenständigkeit der Werke wurde nicht in Frage gestellt. Standen doch zeitgleich Tausende, auch etablierte, Künstler beim staatlichen Federal Art Project (FAP) in Lohn und Arbeit und hielten sich mit Auftragsarbeiten, mit grossformatigen Wandbildern für öffentliche Gebäude, während der Weltwirtschaftskrise über Wasser.
Obwohl Barr erst spät persönlich Einfluss auf die Felsbild-Präsentation in seinem Haus nahm, lenkte er die Konzeption in eine visionäre Richtung. Er reagierte auf die Dynamik des Projekts und wählte spontan einige vorhandene Kunstwerke surrealistischer Künstler aus: Klee, Masson, Miró, Arp und Kandinsky. Für das Publikum wurde ein visuelles Zwiegespräch möglich. Die Avantgarde war in einer separaten Abteilung auf der vierten Etage des damaligen Museumsgebäudes zu sehen, ebenso wie ein kleines Konvolut altindianischer, roter monochromer und polychromer Petroglyphen aus Kalifornien, kopiert 1935 durch FAP-Künstler, vermutlich für den Index of American Design. Mit dieser Ergänzung von Dorothy Miller wurden die Vorfahren der jungen amerikanischen Nation, die indianische Ur-Bevölkerung, ebenbürtig in die globale Menschheitsgeschichte aufgenommen. Miller, die Ehefrau des FAP-Direktors Holger Cahill, übernahm die Federführung beim Einrichten und der Hängung der Ausstellung, gemeinsam mit Frobenius amerikanischem Mitarbeiter Douglas Fox. So lag es für sie auf der Hand, Kopien für den Index hinzuzufügen. Cahill schreibt einfühlsam in seiner Einleitung zum Index über das Ringen der FAP-Künstler, eine angemessene farbige Kopie zu malen, und über die Unterschiede zwischen einer gemalten Kopie und der Fotografie.
Warum entschied sich Barr explizit für eine Präsentation prähistorischer Felsbildkopien in seinem Haus, dem einzigen Museum für Gegenwartskunst in New York? Die Felsbildkopien hätten thematisch auch im Museum of Natural History ausgestellt werden können.
»That an institution devoted to the most recent in art should concern itself with the most ancient may seem something of a paradox, but the art of the twentieth century has already come under the influence of the great tradition of prehistoric mural art.« so Barr im Katalog,2 und in seiner Pressemitteilung:
»Two factors make this exhibition of man’s earliest mural art of particular interest today: the extraordinary rise of interest in public or communal mural painting, especially in America and the resemblance between Paleolithic art and the works of Paul Klee, Hans Arp, Joan Miró and other artists related to Surrealism.«3
Er wollte eine bisher schwer zugängliche Quelle der Inspiration – für die Surrealisten in Paris und in New York – in grossem Stil ausstellen, die sich ab den 30er Jahren zusätzlich zum bereits etablierten Dialog mit aussereuropäischer Kunst und der Bildnerei von psychisch Kranken und Kindern erschloss. Diese Bilder zeigten aus Sicht der Künstler und Kuratoren noch unverfälschte, unverbildete und nicht verformte Kunst – sofern sie originalgetreue Abbildungen der Felsmalereien in Farbe, Originalgrösse und -massstab sehen konnten. Erstmals waren die fest verorteten Felsbilder »mobil« geworden und ihre Mobilität eröffnete neue Wege der Rezeption in Nordamerika.
Barr fasst im Katalog die Magie dieser Bilder, und den Zauber des Anfangs gefunden zu haben, in biblische Worte:4»Even in facsimile they evoke an atmosphere of antediluvian first things, a strenuous Eden where Adam drew the animals before he named them.« Doch Barr's art premier mit kleinformatigen Bildern war kein Zufallsprodukt. Für die New Yorker Künstlergeneration der Gegenwart hatten Klee, Arp, Miró, Kandinsky und Picasso wegweisende Vorbildfunktionen und sie waren ihnen vom Studium in Paris vertraut. Die Zusammenschau von Prähistorischem und Avantgarde zeigte die diachrone Achse seiner angenommenen Beeinflussung. Er muss sich zuvor mit dieser Hypothese befasst haben, denn bereits 1929 veröffentlichte Christian Zervos in Cahiers d’Art einen Aufsatz von Leo Frobenius,5 bebildert mit einer Felsbildkopie aus Simbabwe, welche durch die sichere Zeichnung mit klaren dynamischen Linien besticht (Abb. 3). Die Silhouette, die Konzentration durch reine Zeichnung, prähistorischer Bilder wird bei Zervos mit den Portraitaufnahmen von Paul Klee, André Masson, Joan Miró, Jean Arp, sowie mit André Beaudin, Constantin Brancusi, u.a. publiziert, mit Barrs Avantgardisten! (Abb. 4) Die Pflichtlektüre europäischer und nordamerikanischer Kunstschaffender transportierte Tendenzen und Bilder von grosser Relevanz. Die Debatten um prähistorische Malerei wurden schon ein Jahrzehnt vor der MoMA-Ausstellung geführt. Ernst Ludwig Kirchner schrieb 1929:
»Klee arbeitet mit der reinen Linie, dem Urmittel der Zeichnung, wie ich es auch tue, unsere Vorfahren sind darin die Höhlenmenschen, die herrliche Sachen darin machten. Die sog. malerische Zeichnung mit Licht und Schatten hatte die Linie, das eigentliche Zeichnungsmittel ganz in Vergessenheit gebracht, erst wir haben sie wiederentdeckt und ihre Sprache ausgebildet mit unseren Nerven und den Formen der Neuzeit.«6
Robert Goldwater nennt in seiner Rezension zu Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa, die vor seiner bahnbrechenden Publikation Primitivism in Modern Painting erschien, wohl die entscheidende Prämisse für die »Entdeckung« der prähistorischen Malerei in den 1930er Jahren, die für epochale Ausstellungen bis in die 1980er Jahre ihre Gültigkeit behalten und Kontroversen auslösen sollte: »Even today the exotic appeal of this art, as with that of any other ›primitives‹, may influence the close affinity to modern art which is often found in it; yet we must recognize this exoticism as an important factor in the constitution of modern eye.«7
Er spitzt die Suche nach einer Erklärung für die Faszination der eiszeitlichen Werke auf die Begründung der Selbstbespiegelung zu. Es werden die Gemeinsamkeiten gesehen und nicht die Unterschiede. Die prähistorische Kunst und aussereuropäische Artefakte waren interessant, inspirierend und wurden geschätzt, als sich die Künstler der westlichen Welt wiedererkannten, was ihre visionäre Leistung nicht schmälern soll, und sich die Weltzugänge trafen. Doch im Vergleich zu den nicht-westlichen Objekten und Skulpturen haftete den prähistorischen Malereien die Magie einer unvorstellbar fernen, unbekannten Vergangenheit an. Der Zeitfaktor ist einzigartig und lässt sie aus dem Gattungsbegriff »primitiv« herausragen. Ihre Modernität wurde von Künstlern des Surrealismus und des späteren abstrakten Expressionismus auf beiden Seiten des Atlantiks geschätzt.
»First Surrealists Were Cavemen«8
Die Ausstellung Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa zeigte im Jahre 1937 die ganze Vielfalt vorzeitlicher Kunst, in stetem transatlantischen Austausch von Bildern. Da die Malereien aus der Höhle von Altamira bereits durch Illustrationen in Zeitschriften und Fachbüchern bekannt waren, herrschte angesichts des überwältigenden künstlerischen Spektrums der »neuen« Bilder alsbald eine Aufbruchsstimmung in der New Yorker Kunstszene.
Anhand von drei Bildern Hans Arps und einer aquarellierten Zeichnung Paul Klees sollen der angenommen Barrsche Dialog mit den prähistorischen Felsbildkopien visualisiert werden. Die von Barr zusammengestellten Bildwerke wurden von der Verfasserin durch Sekundärquellen erschlossen, da im Ausstellungskatalog ausschliesslich Felsbildkopien aufgelistet wurden und im MoMA-Archiv keine Objektliste vorhanden ist. Die folgenden singulären Werke, welche in der Pressedokumentation eruiert werden konnten, waren fern aller Spekulation9 im MoMA zu sehen. Unter der Überschrift »First Surrealists Were Cavemen«10 illustrieren Klees Kleine Experimentier Maschine von 1921 (Abb. 5) und eine Felsbildkopie mit drei Straussenvögeln aus der ägyptischen Wüste den Artikel. Die beiden Bilder zeigten für die Journalisten auf den ersten Blick eine übereinstimmende Bildsprache. Der Toledo Blade kommentiert die Abbildungen:
»One of the above [mentioned] pictures was discovered by archeologists in the African desert, cut on rock by an artist of prehistoric times. The other is a creation of a modern surrealist artist, done within the last fifteen years. Can you tell which is which?«11
Unverständnis über die »degenerierten« Kunstwerke der Pariser Surrealisten auch in Los Angeles. Der Examiner druckt:
»Is a feeble imitation of a previous, superior art which was the real primitive? […] Everyone at the exhibition saw at once that here was the source from which the dada-surrealists and other freak artists of modern times drew their weird ›inspiration‹ […]. Professor Frobenius points out that modern freak artist have not imitated prehistoric art at its best which was during the last Ice Age, but in its later decadent stages […] in other words, the art cycle has fallen so low… […] But decadent though it is, compared with Ice Age art that prehistoric painter had a long way to degenerate before he would have turned
out anything so crude as the modern art of Arp’s ›Two Heads‹. To find anything as childish as Arp’s › Mountain, Navel, Anchors, Table‹ one searches the prehistoric art of Africa in vain.«12
Das landesweite Presseecho, mit fast hundert Artikeln, war gespalten und nahm erstaunlicherweise fast keine Notiz von der brisanten Lage der europäischen Avantgardisten im Deutschen Reich und der Brandmarkung »Entarteter Kunst« durch die Nationalsozialisten. Auch schien der Terminus »degeneriert« noch zum gängigen Fachjargon der Natur- und Kulturwissenschaften zu gehören. Fox lancierte im Vorfeld als Sympathisant der Nationalsozialisten eine Deutschland-freundliche Kampagne in den USA und ebnete Frobenius in beiden Ländern den Weg. Auch war Fox Mitherausgeber des Katalogs, Publizist und eine treibende Kraft des Projekts, obwohl der anschliessende Verkauf des gemeinsamen Buches zu afrikanischen Mythen und Märchen in den Staaten nur sehr schleppend verlief. Dank seines Engagements finanzierte Walter P. Chrysler das Projekt, protegierte Frobenius und führte ihn in die New Yorker Gesellschaft ein. Es waren weiterführende Projekte vereinbart, die nicht mehr zustande kamen.
Kleine Experimentier Maschine (1921)
Die aquarellierte Zeichnung gehört in die Phase der Zwitscher-Maschine, 1922, 151, die sich heute in der Sammlung des MoMA befindet, während 1937 die Kleine Experimentier Maschine eine Leihgabe aus Privatbesitz war und blieb (Abb. 5).
Die Technik des Bildes, die Ölpause auf Papier, verrät Klees Absicht, ein automatisches Bild herzustellen. Das Durchdrücken, das Pausen, ist ein mechanischer Herstellungsprozess. Und was produziert er? Eine Maschine, die, wie bei der Zwitscher-Maschine, mit einer Handkurbel gespannte, dünne waagerechte Drähte oder Saiten, hin- und her bewegt. Auf den Saiten sind wiederum senkrechte kleine Installationen aus Scheiben, Halbmonden, Blättern, Ballons oder Fähnchen befestigt, die beim Kurbeln in Bewegung gesetzt werden. Das Halbfertige, der Schmutz der geschmierten Maschinenglieder, wurde perfekt durch das Pauspapier auf das Trägerpapier übertragen. Die schwarzen Linien kontrastieren mit der gelben Aquarellfarbe: die Kleine Experimentier Maschine wird ausgeleuchtet, verstärkt durch den gelben Farbrahmen des Kartons.
Die Vorzeichnung, 1921, 44 (Feder auf Papier auf Karton, 18,4 x 28 cm) zum Blatt (Abb. 6) lässt einen identischen »Versuchsaufbau« erkennen, doch ist das Motiv, im Verhältnis zur Blattgrösse, grösser dimensioniert. In der linken oberen Hälfte der Maschine ist das Wort »Zwitsch« an einen kleinen rotierenden Propeller geschrieben. »Zwitsch« wie Zwitscher-Maschine? Der Gedanke liegt nahe. Gerade Die Zwitscher-Maschine, die nur ein paar Wochen nach dieser MoMA-Ausstellung als »Entartete Kunst« in München ausgestellt werden sollte und über den Kunsthandel 1939 in die Sammlung des Museum of Modern Art gelangte. Und welche für Barr kunsthistorisch so bedeutend war, dass er sie 1946 in der dritten Auflage des Kataloges zur Ausstellung Dada Fantastic Art Surrealism auf dem Frontispiz abgedruckte. Die Zwitscher-Maschine verbreitete ab den 1930er Jahren ihre Botschaft in den Staaten und wurde zu einer Ikone des Abstrakten Expressionismus.
In seiner »Zeitlosigkeit« wurde Klee von Künstlern in New York bewundert. Durch einige Ausstellungen in den Staaten war er ab 1924 zum bekanntesten und einflussreichsten deutschschweizer Maler avanciert, zu einem Schwergewicht in der fast erdrückenden Übermacht der französischen Avantgardisten. Barr hatte ihn mit einer Einzelausstellung 1930 im MoMA protegiert.
Auch Klee war an Archetypen interessiert, weshalb diese Zeichnung Kleine Experimentier Maschine während Barrs Ausstellung Fantastic Art, Dada, Surrealism (1936) ebenfalls zu sehen war. Werke von Klee, Miró und Masson spielten eine entscheidende Rolle bei der Loslösung amerikanischer Künstler vom Kubismus: durch die Wirkung des Automatismus und Biomorphismus in ihren Bildern.13
Doch wollte Klee auch mit der Kleinen Experimentier Maschine viel mehr ausdrücken als eine reduzierte Zeichnung einer Maschine in Bewegung. Der Automatismus der Surrealisten beschäftigte Klee in den 1920ern und er formte aus Pflanzen, Architekturen und Tieren technische Apparaturen, Maschinen, Werkzeuge oder Fluggeräte.
Zeichen und Symbole prähistorischer Künstler und ihrer Konzeptkunst wurden von den Avantgardisten in Europa und in New York gelesen und in die eigenen Sphären projiziert. In diesem Sinne hätte Paul Klee keine neuen Bildrealitäten erfunden, sondern das Gesehene, Erfasste und Wahrgenommene in anderen Zuständen und Gestaltungen widergegeben, wie auch die Ausstellung Paul Klee, L’Ironie à l’œuvre im Centre Pompidou in Paris eindrücklich zeigt. Die Referenzialität auf die Vergangenheit gehörte zu seinem Gesamtwerk. Die Konstruktion einer »Zeitlosigkeit« von Kunst befeuerte die Debatten in den 1930er Jahren, zu jenen Versuchen, die Modernität des Primitivismus zu begreifen.
Mountain, Navel, Anchors, Table (1925) und Two Heads (1927)
Hans Arp, den Barr ein »one-man laboratory for the discovery of new forms«13 nannte, wollte wie die Künstler der New York School auf seinem Weg zur ungegenständlichen Malerei, Natur und Abstraktion vereinen. Dieses Konzept hatte er mit Künstlern der Schule von Hans Hofmann wie den American Abstract Artists gemeinsam, und Barr ermöglichte das visuelle Zwiegespräch. Seine Intuition war visionär, denn Arp und Klee waren nicht nur auf der Suche nach neuen künstlerischen Lösungen, sondern beide hatten eine Affinität für das Ursprüngliche, für Originalität und für Prähistorisches. Das Destruktive, nicht das Dekonstruktivistische der Kubisten, gehörte zu ihrer Kunst in den Jahren zwischen den Weltkriegen. Die Zerstörung stand für Arp und für die Dada-Bewegung am Anfang der ersehnten geistigen Erneuerung. In Arps Mountain, Navel, Anchors, Table (Montagne, nombril, ancres, table) (Abb. 7) von 192514 werden die Kerben in der Leinwand zum zentralen Motiv im blauen Bildraum. Die Oberfläche ist sowohl horizontal als auch vertikal eingeschnitten
und die entstandenen Kerben zeigen in ihren Umrissen einen Tisch mit vier Beinen. Darüber erhebt sich ein braunes Bergmassiv mit zwei Bergwipfeln, auf welchen wiederum zwei eingeschnittene Anker schweben. Die rechte Bergspitze umschliesst einen kleinen schwarzen Ring, den Bauchnabel. Der weisse Holzrahmen akzentuiert die Farbkontraste der weissen Einschnitte, der braunen Berge und des blauen Hintergrunds. Die formalen Übereinstimmungen mit der Felsbildkopie einer Gravierung auf einer Felswand in Ägypten15 sind verblüffend. Auch dort sind Einkerbungen in der Felswand zum ausdrucksstarken Teil der Komposition geworden. 1925/26 lebte Arp in Paris, Tür an Tür mit Miró, Alexander Calder und Henry Moore.16 Die gegenseitige Beeinflussung war enorm. In seinen gesammelten Schriften, Unsern täglichen Traum. Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914 - 1954, beschreibt Arp das Bild in den Werkstattfabeln:
»Der Träumer vermag […] Blitze zu bündeln, einen gewaltigen Berg, der von einem Nabel und zwei Ankern träumt, über einen kleinen schwachen armseligen Tisch, der einer Mumie gleicht, schweben zu lassen.«17
Auch kann davon ausgegangen werden, dass die Exponenten der Moderne prähistorische Höhlenmalereien in Frankreich oder gar Felsbildkopien in Paris gesehen haben. Arp hält fest:18
»Schon mit gesenkten Lidern fliesst die innere Bewegung reiner in die Hand. In einem dunkeln Raum ist der Fluss der inneren Bewegung noch leichter zu leiten. Der Dirigent einer inneren Musik, der grosse Bildner der Steinzeit, zeichnete mit nach innen gerichteten Augen. Die Zeichnung wird transparent und lässt die Überlagerung, die Erregung, die Wiederholung des inneren Gesangs, die Umschreibung zu einem tiefen Atem werden.«
Die Materialität in Arps zweitem Bild Two Heads (Deux têtes) (Abb. 8) aus dem Jahre 1927 ist im Vergleich zum ersten Werk ins Gegenteil verkehrt.19 In einem hochrechteckigen Bildfeld ohne Rahmung konturieren feine weisse, aufgeklebte Papierkordeln das Motiv. Aus der amorphen Form entwickeln sich zwei Köpfe mit runden Augenöffnungen und Nase, die sich zugewandt erscheinen. Die weisse Oberfläche wurde zur Schaffung einer dreidimensionalen Wirkung erhöht und nicht eingetieft. Der durchgehende Umriss der Kontur erzeugt einen starken zeichenhaften Ausdruck, ohne Farbkontraste, nur durch einen Licht-und-Schatten-Effekt der Kordel. Diese Simplizität stimmt mit jener Gravierung eines lebensgrossen Bären überein (Abb. 9), die an einer senkrechten Felswand über dem Meer in Norwegen gefunden wurde. Diese eindrückliche Kopie wurde in der Presse häufig rezipiert. Die durchgängige Linienführung, die ikonische Zeichnung, bindet die Bildintensität. Beide Bilder lenken den Fokus auf die Materialität der kopierten und der aufgedoppelten Oberfläche, experimentieren mit der Transformation von Drei- und Zweidimensionalität.
Als Kennerin des Arpschen Œuvre stellt Carola Giedion-Welcker bereits 1958 im MoMA-Katalog zu einer Arp-Retrospektive die Beziehung zur prähistorischen Kunst her: »They [Arps Bilder] speak in a dialogue which call to mind the clownish mutterings of James Joyce’s Jute and Mute, and primeval rock formations. The dialogue is carried on in our modern idiom, but it constantly renews itself from these primal sources.«20
Dieser Dialog, die Erneuerung aus der Vergangenheit heraus, formte die Moderne in den 1930er Jahren – prehistoric modern. Zurück zum Ursprung des Menschen, als ein Bestandteil der Natur: Arps Kunst zielte auf Freiheit, auf die Freiheit des Unbewussten. Die Einfachheit seiner Formen stellte er dem Rationalen gegenüber. Diese Intention hatte er mit Klee gemeinsam und Barr kannte die Zusammenhänge. Nur ein Jahr zuvor hatte Giedion-Welcker zu Arps Formenvielfalt geschrieben:
»Peculiar formal entities arise – one might call them Formlinge (Frobenius' term for archetypal form-beginnings). Here too, primeval shapes seem to come to life again and to act out a burlesque of today.«21
Barrs Ausstellung prähistorischer Felsbildkopien aus der Sammlung Frobenius war 1957 in New York noch präsent! Als Siegfried Giedions Ehefrau hatte sie die europäische als auch die amerikanische Wissenschaftsgeschichte im Blick und in ihren Monografien zu Arp und Joyce rekurrierte sie immer wieder auf Vergangenes, die Vergangenheit. Das Rezitieren der Wortneuschöpfung legt nahe, dass sie mit Frobenius Schriften und seiner Felsbildsammlung vertraut war. Man ist versucht zu sagen, sie stimmte ihm zu, was für zukünftige Forschungen zu klären wäre.
Die Bildbeispiele lassen den Schluss zu, dass Miró, Masson, Kandinsky und Klee aus konzeptionellen Gründen von Barr ausgewählt worden waren und beim Rundgang durch die Ausstellung eine Synthese zuliessen. Miró und Masson hatten Klees Bilder, wie viele französische Künstler, durch Reproduktionen kennengelernt. 1922 entdeckte Masson an einem Stand am Pariser Seine-Ufer ein Buch mit Klees Bildern. Nachdem er es Miró gezeigt hatte, wurden die Abbildungen von Klees Werken für beide Maler zur Offenbarung. Miró wäre ohne Klee und Masson nicht Miró geworden. Die
Zusammenschau von Klees, Kandinskys, Mirós und Massons Werken war aus Barrs Perspektive keine angenommene diachrone Beeinflussung, sondern ein aktueller, in Pariser Kreisen bekannter Dialog, welchen Barr der New Yorker Kunstszene vor Augen führte.
Die Aneignung prähistorischer Malereien durch die »American Abstract Artists«
Barrs Konzept zur Ausstellung Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa war in vielerlei Hinsicht zukunftsweisend und wurde im Jahr 1937 besonders von den Nachwuchsmalern verstanden. Künstler der American Abstract Artists, um 1900/05 geboren, in Europa ausgebildet, nahmen die Bilder der schwer zugänglichen Inspirationsquelle aus der Vergangenheit begeistert auf.
Auch bestand eine direkte Verbindung von Arp zu den American Abstract Artists. Jean Hélion berichtet in einem Interview 1985/86 über die Gründungsphase der amerikanischen Künstlergruppe. Sophie Taeuber und Arp gaben seit 1937 in Zusammenarbeit mit den Gründungsmitgliedern George L. K. Morris und A. E. Gallatin die Zeitschrift Plastique heraus, so dass der künstlerische Austausch exakt im Ausstellungsjahr des Kollektivs intensiviert worden ist. Hélion war schon 1936 von Paris nach New York gegangen. Er wurde sogleich vom Kreis angefragt, eine Gruppe nach Pariser Vorbild zu gründen, doch riet er ihnen, eine eigenständige Vereinigung aufzubauen, die American Abstract Artists.22 Die Gruppe verfolgte als einzige Vereinigung das Ziel, eine Ablösung von der figurativen Malerei herbei zu führen und sich der Abstraktion zuzuwenden. Josef Albers, Rosalind Bengelsdorf, Ilya Bolotowsky, Harry Bowden, Bryon Browne, Giorgio Cavallon, Burgoyne Diller, Werner Drewes, Susie Frelinghuysen, A. E. Gallatin, Balcomb Greene, Harry Holtzman, Carl Holty, Georg L. K. Morris, Esphyr Slobodkina oder David Smith gehörten u.a. seit der Gründung dazu. Voller Idealismus flossen die prähistorischen Konzepte in ihre Schriften und in ihre Kunst ein. Ihre persönlichen Aufzeichnungen verraten die Transformationen von Vergangenem. Die Höhle als Raum, die dreidimensionale Oberfläche der Felswände und die Effekte von Licht und Schatten sowie die Bewegung in der Bildkomposition trafen den Nerv dieser Generation.
Die erst 21jährige Rosalind Bengelsdorf (Browne), Mitbegründerin der American Abstract Artists, gehörte zu den selbstbewussten »individual females«, die auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen publizierten, dozierten und die Gegenwartskunst beförderten. Nach dem Besuch der MoMA-Ausstellung schrieb sie auf einen Notizblock:
»The artists who produced Altamira and Lascaux cave paintings were capable of a great deal of invention and imagination. A man who could produce images of animals with such monumental sophistication – dramatizing masses – attenuating delicate limbs incorporating all design with the rock formation he worked on […] – a man who could do this […] was not a savage, he was simply a man without conveniences […] The artist with this view wanted […] to show within the limits of a two-dimensional surface on a block of stone – the struggles, the tensions, harmonies, destructions and degenerations, a unit of life goes through to survive.«23
Auch für Balcomb Greene, der in einem Atemzug mit Stuart Davis oder Willem de Kooning zu nennen ist und den American Abstract Artists lange vorstand, markierten die Bilder prähistorischer Künstler den Beginn der Kunstgeschichte. Beeinflusst durch seinen engen Freund Robert Goldwater gehörten diese Artefakte für ihn zum »Primitivismus«. Greene und Bengelsdorf sollen als Beispiel für das weite Spektrum der sogenannten First Generation der New York School dienen, welche Frobenius Felsbildkopien reflektierten und heute ein neues Forschungsfeld zur Genese des amerikanischen abstrakten Expressionismus eröffnen.
Die Frankfurter Kopien und Werke von Arp, Klee oder Miró zeigten den New Yorker Künstlern - ganz unerwartet - unbekannte Wege bei der Lösung aktueller Probleme auf. Viele von ihnen experimentierten mit der Perspektive, dem Verweben von Flächen, der Materialität von Oberflächen, mit Dreidimensionalität, der Balance zwischen Licht und Schatten und versuchten den abstrakten Kompositionen Spannung zu verleihen, wie Chamion von Wiegand in ihrer Rezension im offiziellen Publikumsmedium der Gruppe Art Front herausstellte:
»These pre-historic artists knew and mastered many of the problems of modern art. They studied perspective, movement, chiaroscuro. […]
Structure and muscular tension are dramatized through contrasts of light and dark spots and broken contour, so that a three dimensional art emerges.«24
Diese Suche war Gegenstand der Debatten und Barr bestens bekannt. Auch von Wiegand ordnet die prähistorische Felsbildkunst in den Diskurs zum »Primitivismus« ein und benennt indirekt Barrs Strategie:
»The old African tribal gods, the savage rhythmic dances, the exotic handicrafts and magic art of Africa made a triumphal conquest of European art. Morocco, Tunis, Japan, China, India, the South Seas, the Argentine, Mexico, each in turn and finally Africa and prehistoric culture have all their day in modernist painting.«25
Obwohl nur wenige der American Abstract Artists zu Ruhm und Anerkennung gelangten, ist diese lose Ausstellungsformation für wenige Jahre (1937 - 40) innovativ, einflussreich und eine Alternative zur etablierten Szene gewesen. Sie trugen mit dazu bei, durch die Inspirationsquelle der prähistorischen Malerei, eine Ablösung von der figurativen zur abstrakten Kunst herbeizuführen.
Ausblick auf den Beginn der US-amerikanischen Forschung zur Ausstellung »Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa«
Meyer deutete 2013 auf die neuen Forschungsfelder, welche sich mit der Wiederentdeckung der Ausstellung Prehistoric pictures from Europe and Africa aufdrängen, zu Mimesis, zur amerikanischen abstrakten Kunst, zum Primitivismus und Exotismus. Seine Ideen zielen in die richtige Richtung: »Prehistory and modernity speak to each other across the widest expanses of time and geography through the mediation of pictorial facsimile and museum exhibition.«26 Ebenso folgerichtig ist, dass das Aufkommen der abstrakten Kunst in den 1930ern und 40ern keine logische chronologische Entwicklung war und auch nicht monokausal. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass Meyer den Impetus der deutschen Kopisten überhöht. Frobenius war pragmatisch und ein guter Geschäftsmann. Die Felsbildkopien der MoMA-Ausstellung entstanden nachträglich im Frankfurter Atelier und nur selten vor den Originalen. Die Motive der Kopien seiner Sammlung sind teilweise ergänzt und nachgezeichnet worden, und spiegeln nicht den Moment ihrer gegenwärtigen Entdeckung wider. Auch verwundert es, dass Meyer als ergänzende Präsentation Twelve Modern Paintings nennt und Barrs art premier nicht mit Hilfe der MoMA-Pressedokumentation rekonstruiert hat.27 Seine Argumentation zur Rezeption der monumentalen Formate der Felsbildkopien in den wandfüllenden Formaten der späteren Abstrakten Expressionisten ist dagegen sehr überzeugend. Golans28 (2009) und Indych-Lópezs29 (2009) Publikationen widmen sich unter dieser Prämisse bereits dem Wandbild im 20. Jahrhundert in Europa und Nordamerika. Doch machten sich Maler wie Robert Motherwell oder Jackson Pollock selbst auf den Weg, um prähistorische Kunst in Originalgrösse zu sehen. Auch wenn ihre Gemälde in die Begrenztheit der Leinwand eingeschlossen bleiben mussten. Pollock interessierte sich für Petroglyphen indianischer Ureinwohner, unter freiem Himmel. Für seine Expeditionen an die US-amerikanische Westküste lieferte auch die MoMA-Ausstellung das Stichwort, denn nicht ohne Grund hatte Miller eine kleine Sammlung von Lithografien mit Abbildern indianischer Felsmalereien aus Kalifornien in die Ausstellung integriert. Motherwell war zu jung, um 1937 das MoMA besucht zu haben. Er reiste später von Paris aus zur Höhle in Altamira und sagte über das Deckengemälde in einem Interview: »They were moving«.30 Für ihn hatten sich die Bilder an der Höhlendecke bei flackerndem Kerzenlicht in Bewegung gesetzt.
Die prähistorische Felsbildmalerei hat in den wichtigen Jahren von 1937 bis 1942, mit der Ablösung vom Kunstzentrum Paris und dem Beginn der »post-European period«, künstlerische Impulse gegeben, die amerikanische Maler in neue Inhalte ihrer Kunst einfliessen liessen. Mit der Rekonstruktion der Ausstellung Prehistoric rock pictures from Europe and Africa im MoMA (1937) ist ein missing link gefunden worden. Barr wollte keinen Vergleich von Vergangenheit und Gegenwart, sondern Toleranz und Offenheit für alle Formen von Kunst schaffen. Das MoMA hatte als einziges Gegenwartskunstmuseum die Aufgabe, mit Flexibilität und Wandelbarkeit voraus zu denken. Deshalb entschied er sich explizit, Frobenius Felsbildsammlung in seinem Hause zu zeigen, obwohl sie thematisch auch im Museum for Natural History hätte ausgestellt werden können. George L. K. Morris wünschte sich im Jahrbuch 1939 für das MoMA: »An exhibition could be planned so as to include the Stone Age, and various phases of abstract art through Egypt, Greece, China, the Arab Periods (when all art was required to be non-representational), through Cubism, into the contemporary European and American movements.«31 Diese Strategie verfolgte Barr: »In the future the Museum plans an exhibition which may include Dutch primitives, […], El Greco, Paleolithic cave drawings, […] Russian icon, Persian miniatures, and 20th century sculpture and painting.«32
Vergangenes in der Gegenwartsehen und verstehen, in der unmittelbaren Gegenwart, in spontanen Kunstäusserungen: das war seine Vision.
1 Die neuen Thesen wurden von der Autorin erstmals in deutscher Sprache in kunsttexte.de (7/2014) publiziert. Die Veröffentlichung ihrer Forschungsergebnisse zur Aneignung prähistorischer Kunst durch die American Abstract Artists am Smithsonian American Art Museum (2012 - 14), Washington DC, und eine Kunstausstellung sind in Planung: »The ›Cavey‹ Pictures«, RIHA Journal, Ende 2016. Ich danke Michael Baumgartner und Osamu Okuda für die fruchtbaren Diskussionen und für die Möglichkeit, diesen Aufsatz in überarbeiteter Fassung und in einem zitierfähigen Format zu publizieren, der in einer Kurzfassung im Begleitheft zur Ausstellung »Kunst der Vorzeit«, Martin-Gropius-Bau, Berlin 2016, S. 55 - 62, abgedruckt worden ist. Herzlicher Dank gilt ebenfalls meinem Mentor Thomas Kirchner und meiner Kollegin Nina Schleif, die mich zu dieser Neufassung ermutigt haben.
2 Alfred H. Barr, Einleitung im Katalog zur Ausstellung. Vgl. Leo Frobenius / Douglas C. Fox, Prehistoric Rock Pictures from Europe and Africa, New York 1937.
3 Pressemitteilung, Museum of Modern Art Archives, Public Information Records, Scrapbook #26: Prehistoric Rock Pictures in Europe and Africa, Exh. #61, 1937 April 28 - May 30; C/E 1937 - 39.
4 Wie Anm. 2
5 Leo Frobenius, »L´Art de la Silhouette«, in: Cahiers d’Art (1929), Heft 8 - 9, S. 397.
6 Ernst Ludwig Kirchner an Hansgeorg Knoblauch am 2. März 1929, in: Ernst Ludwig Kirchner. Briefwechsel mit einem jungen Ehepaar 1927 – 1937. Elfriede Dümmler und Hansgeorg Knoblauch, Bern 1989, S. 61. Ich danke Osamu Okuda ganz herzlich für den Hinweis auf die Quellen in Anm. 5 und 6.
7 Robert Goldwater, »Prehistoric Rock Pictures«, in: Magazine of Art, Jg. 30, Heft 6, 1937, S. 380 - 382.
8 Überschrift in: The Examiner, Los Angeles, May 1937. Toledo Blade (Ohio), 20. Mai 1937.
9 Richard Meyer, What was contemporary Art?, Harvard 2013, S. 148. Meyer nennt erstaunlicherweise Bilder der Ausstellung Twelve Modern Paintings, anstatt die erwähnten Bilder aus der Pressedokumentation des MoMA-Archives auszuwerten.
10 Milwaukee Sentinel, 20. Mai 1937, S. 13.
11 Toledo Blade (Ohio), May 20, 1937.
12 The Examiner, Los Angeles, ohne Datum.
13 Hans Arp. Graphik 1912 - 1959, hrsg. vom Kunstmuseum Basel (1959), Vorwort.
14 Arps Werk wird genannt in The Examiner, Los Angeles, ohne Datum. Quelle wie Anm. 12.
15 Siehe Abb. 5, S. 57, In: Kunst der Vorzeit, Bd. II, Martin-Gropius-Bau, Berlin 2016, S. 55 - 62.
16 Arp, hrsg. vom Museum of Modern Art, New York 1968, S. 10.
17 Hans Arp, Unseren täglichen Traum. Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914 - 1954, Zürich 1955, S. 97.
18 Wie Anm. 17, S. 87.
19 Wie Anm. 14.
20 Arp, hrsg. vom Museum of Modern Art, New York 1958, S. 22.
21 Carola Giedion-Welcker, Jean Arp, New York 1957, S. XIV.
22 Arp 1886 – 1966, hrsg. von Jane Hancock und Stefanie Poley, Stuttgart 1986, S. 174.
23 Rosalind Bengelsdorf Papers, Smithsonian Archives of American Art.
24 Chamion Von Wiegand, »Prehistoric Rock Picture«, in: Art Front, June - July 1937, S. 10 - 11, 18.
25 Wie Anm. 24.
26 Wie Anm. 9, S. 138.
27 Wie Anm. 9, S. 148.
28 Romy Golan, Muralnomad: The Paradox of Wall Painting, Europe 1927 - 1957, New Haven 2009.
29 Anna Indych-López, Muralism without walls. Rivera, Orozco and Siqueiros in the United States, 1927 - 1940, Pittsburgh 2009.
30 Robert Motherwell, Inside New York’s Art World: Robert Motherwell, 1979,
http://bestplay.pk/watch/n_evtvqBawY
31 Jahrbuch 1939, hrsg. von The American Abstract Artists, »Einleitung«.
32 Zitiert nach Meyer, wie Anm. 9, S. 117.